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Josephine Ballon von HateAid: Warum der DSA wichtig ist

Seit Februar 2024 ist der Digital Services Act (DSA) in Kraft. Das EU-Gesetz verpflichtet die Plattformen zu mehr Sicherheit im Netz und stärkt so die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer. Im Interview erklärt Josephine Ballon, Geschäftsführerin bei HateAid, wie die neuen Regeln gegen Hass und Desinformation umgesetzt werden und welche Rolle die Bundesnetzagentur und Trusted Flagger dabei spielen.

Das Bild zeigt Josephine Ballon. Sie ist Geschäftsführerin bei HateAid.

Josephine Ballon, Geschäftsführerin bei HateAid © HateAid hateaid.org/presse-downloads/josephine-ballon/

Der Digital Services Act soll uns auch vor illegalen Inhalten, Hassrede und Desinformation besser schützen und gleichzeitig die Rechte der Nutzerinnen und Nutzer stärken. Was hat die Bundesnetzagentur damit zu tun? 

Die Bundesnetzagentur ist eine deutsche Regulierungsbehörde, die die Interessen von Verbrauchern und Unternehmen schützt. Sie überwacht die Märkte für Strom, Gas, Telekommunikation, Post und Eisenbahnen und stellt sicher, dass diese Märkte fair und transparent funktionieren. Im Rahmen des Digital Services Act (DSA) übernimmt die Bundesnetzagentur zusätzlich die Rolle des Digital Services Coordinators (DSC). Dieser sorgt dafür, dass Online-Dienste in Deutschland ihre Pflichten zum Schutz vor digitaler Gewalt, wie beispielsweise Hassrede oder Desinformation, erfüllen.

Sie sind Mitglied im Beirat des Digital Services Coordinators (DSC). Wie arbeitet der DSC und wie profitiert die Gesellschaft davon? 

Der Digital Services Coordinator (DSC) fungiert als zentrale Beschwerdestelle für Nutzerinnen und Nutzer, die Verstöße gegen den Digital Services Act (DSA) melden möchten. Beispielsweise wenn die Entscheidung über das Entfernen oder Stehenlassen von Inhalten von einem Betreiber nicht nachvollziehbar begründet wird. Oder wenn man illegale Inhalte bei Online-Anbietern melden möchte, das aber nicht kann, weil kein Meldeweg vorhanden ist. 

Außerdem entscheidet der DSC über Anträge von Einrichtungen und Organisationen in Deutschland, die sich als sogenannte Trusted Flagger bewerben. Der Beirat hat grundsätzlich keine Befugnisse in der Aufsicht über die digitalen Dienste, soll den DSC aber beraten. 

Der Digital Services Act (DSA) sieht vor, dass jedes EU-Mitgliedsland Trusted Flagger benennen kann. Wer oder was verbirgt sich dahinter?

Trusted Flagger, oder auf Deutsch vertrauenswürdige Hinweisgeber, sind Organisationen, die über besondere Expertise im Erkennen von rechtswidrigen Inhalten verfügen. Rechtswidrig sind zum Beispiel volksverhetzende, beleidigende oder ehrverletzende Inhalte oder Aufrufe zur Gewalt. Die Trusted Flagger sollen Plattformen auf solche hinweisen und so unterstützen, Verstöße schneller zu erkennen und zu beheben. Ihre Meldungen haben Vorrang vor denen einzelner Nutzerinnen und Nutzer.

Der DSC prüft die Anträge der Organisationen und Einrichtungen, die sich als Trusted Flagger bewerben, nach den Kriterien des DSA. Diese sind: Unabhängigkeit, Nachweis besonderer Sachkenntnis sowie Objektivität und Sorgfalt. Darüber hinaus müssen Trusted Flagger einmal im Jahr einen Bericht über die eingereichten Meldungen erstellen. Neben Angaben zur Transparenz der Organisation müssen darin auch Anzahl, Art und Ergebnis der Meldungen enthalten sein.

Warum sind Trusted Flagger aus der Zivilgesellschaft hilfreich?

Wichtig ist noch mal festzuhalten: Die Betreiber haften grundsätzlich nicht dafür, dass illegale Inhalte von Nutzenden hochgeladen werden. Laut DSA müssen sie nur dann aktiv werden, wenn ihnen Inhalte zur Kenntnis gebracht werden. Trusted Flagger erhalten privilegierte Meldekanäle, so dass über sie eingehende Beschwerden von den Plattformen schneller geprüft werden.

Wir haben uns als HateAid ebenfalls als Trusted Flagger beworben und hoffen auf eine Zulassung, um Betroffenen von digitaler Gewalt noch besser helfen zu können. Diese wenden sich oft an uns, weil sie rechtswidrige Inhalte wie Beleidigungen, Verleumdungen oder auch Volksverhetzungen erfolglos gemeldet haben. Hier können wir dann hoffentlich effektive Unterstützung anbieten. 

Bei YouTube sind wir bereits seit 2020 Teil ihres eigenen Trusted-Flagger-Programms. Zivilgesellschaftliche Organisationen wie HateAid bringen besondere Erfahrungswerte aus der Praxis mit. Wir handeln aus Sicht der Nutzenden und können Probleme auf und mit den Plattformen sehr schnell melden. Oder auch entlarven, wo Plattformen Schlupflöcher finden und ausnutzen, um die Bestimmungen des DSA zu umgehen.

Es gibt Befürchtungen, dass Trusted Flagger die Meinungsfreiheit einschränken könnten. Wie schätzen Sie diese Gefahr ein?

Die Diskussion um Trusted Flagger ist in meinen Augen eine künstliche Debatte, die aus politischen Motiven geführt wird. Trusted Flagger erhalten keinen magischen Löschknopf für Inhalte. Alles, was sie tun, ist, Inhalte auf Online-Plattformen zu melden. Die Plattformen müssen dann selbst prüfen und entscheiden. Die Arbeit der Trusted Flagger als Zensur darzustellen, geht nicht nur völlig an der Sache vorbei, sondern ist auch gefährlich. Organisationen, die sich bewerben wollen, kann das einschüchtern und abschrecken. Denn die öffentliche Aufmerksamkeit, der Hass und die Desinformation entladen sich vor allem über ihnen. 

Lässt sich die Verbreitung von Hass und Desinformation aus Ihrer Sicht stoppen?

Es ist eine enorme Herausforderung. In Zeiten von generativer KI kann man fast nichts mehr ungeprüft glauben, was man im Internet sieht. Digitale Gewalt ist allgegenwärtig. Diese Entwicklung destabilisiert uns als Gesellschaft und unsere Demokratie. Wir müssen daher alle daran interessiert sein, nicht tatenlos zuzusehen. Und dazu gehört eben auch, soziale Netzwerke und ihr Geschäftsmodell stärker zu regulieren. Solange sie von Hass und Desinformation, die millionenfach ausgespielt und verbreitet werden, über damit verbundene Werbeeinnahmen profitieren, haben sie auch Macht über den öffentlichen Diskurs.

Es ist wahnsinnig schwer, daran nur durch die Aufsicht über die Plattformen etwas zu ändern. Vor allem Transparenz darüber herzustellen, was wirklich bei den Online-Plattformen passiert, ist eine Herausforderung. Sie sind eben keine Pille, die man ins Labor bringen und untersuchen kann. Politik und Kontrollinstanzen sind auf das angewiesen, was sie auf Plattformen gezeigt bekommen. Um das zu verifizieren oder zu widerlegen, sind sie meist auf Zufallsfunde aus der Zivilgesellschaft oder Wissenschaft angewiesen.

Welche Schritte können unsere Leserinnen und Leser selbst unternehmen, um aktiv gegen Desinformation vorzugehen?

Meldet Inhalte an die Trusted Flagger, damit diese sie einreichen können und lasst Falschbehauptungen über die Organisationen, die als Trusted Flagger arbeiten, nicht unwidersprochen stehen. In unserem User Guide könnt ihr nachlesen, wie ihr eure Rechte auf den Social-Media-Plattformen nach den Regeln des DSA durchsetzen könnt. Dabei geht es zum Beispiel darum, was ihr tun könnt, wenn Plattformen auf eure Meldungen nicht reagieren. Wer selbst auf YouTube Trusted Flagger werden oder unsere Arbeit dort unterstützen möchte, findet hier weitere Informationen.

Über HateAid
Die Organisation HateAid setzt sich für Menschenrechte im digitalen Raum ein. Wer von digitaler Gewalt betroffen ist, erhält von HateAid umfassende Beratung und Unterstützung. Die gemeinnützige Organisation klärt Politik, Justiz und Wirtschaft über Hass im Netz auf. Sie macht konkrete Lösungsvorschläge für ein Netz, in dem Meinungsfreiheit gewahrt und Teilhabe für alle ermöglicht wird. HateAid ist Partner der Telekom-Initiative #GegenHassImNetz.

Das Bild zeigt Christine Rößler und Anja Zalewski, Expertinnen der Telekom, die den Digital Services Act (DSA) erklären

DSA – Was bringt Europas digitales Grundgesetz gegen Hass und Desinformation?

Zum 17. Februar trat der Digital Services Act (DSA) in vollem Umfang in Kraft und gilt nun für alle Diensteanbieter. Erfahrt, was die EU-Verordnung bringt und wie sie hilft, gegen Hass und Desinformation im Netz vorzugehen.
 

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