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Katja Kunicke

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Cybermobbing: Suizid ist nie der letzte Ausweg

“Du bist ekelhaft” “Bring dich lieber um!” Solchen Beschimpfungen war Jay, Protagonist der aktuellen Telekom-Kampagne, ausgesetzt. Im schlimmsten Fall kann Mobbing Menschen in den Tod treiben. Der Verein „Freunde fürs Leben“ möchte das verhindern. Er informiert über Suizid und Depression, damit Signale frühzeitig erkannt und Hilferufe besser gedeutet werden können.

Sehr viele Menschen stehen vor dem Brandenburger Tor in Berlin.

Freunde fürs Leben beteiligt sich am 10. September, dem Welttag der Suizidprävention, an der Aktion „600 Leben“. Zusammen mit anderen NGOs weisen sie auf den jährlichen Suizid von 600 Jugendlichen hin. © W. Wetzler | Freunde fürs Leben

Vor knapp 20 Jahren gründeten Diana Doko und Gerald Schömbs den Verein Freunde fürs Leben. Beide hatten zuvor geliebte Menschen durch Suizid verloren. Während der Trauerphase stellten sie fest, dass es viele Vorurteile, falsche Informationen und Stigmata rund um die Krankheit Depression gibt. Und dass Betroffene und Angehörige mit ihren Sorgen und Ängsten oft alleingelassen werden. Aus Trauer wurde Entschlossenheit. Die beiden Kommunikationsprofis Doko und Schömbs entschieden sich, anderen Mut zu machen. „Aus Unwissenheit und Angst, etwas Falsches zu tun, unternehmen Angehörige und Freunde oftmals nichts. Im persönlichen Miteinander ist es nach wie vor ein Tabu, über depressive Phasen und Suizidgedanken zu sprechen,“ sagt Diana Doko, Gründerin und Vorsitzende von Freunde fürs Leben. Sie fordert mehr Aufklärung über Depression und Suizid – auch von staatlicher Seite und an Schulen. Denn Krisen und Suizidgedanken sind im Jugendalter weitverbreitet. 

Suizid ist die zweithäufigste Todesursache bei jungen Menschen

Alle 53 Minuten nimmt sich im Durchschnitt ein Mensch in Deutschland das Leben, alle fünf Minuten versucht es einer. Fast 10.000 Suizidtote sind es insgesamt in Deutschland. Unter jungen Menschen bis 29 Jahren ist Suizid die zweithäufigste Todesursache – 2018 waren es rund 529 Suizide in dieser Altersgruppe. Und 90 Prozent aller Menschen, die durch einen Suizid ums Leben kommen, litten an einer psychischen Erkrankung, meist einer Depression*.Mobbing-Erfahrungen im Jugendalter erhöhen die Wahrscheinlichkeit, an einer Depression zu erkranken. Wie stark sich Mobbing oder Cybermobbing auf das seelische Befinden eines Menschen auswirken, hängt von vielen Faktoren ab: Wie schwer ist die Attacke, wie stark ist die Persönlichkeit des bzw. der Betroffenen, wie ist ihr oder sein soziales Umfeld?

Für Diana Doko ist der Fall von Jay aus der Telekom-Kampagne ein typisches Beispiel dafür, wie sehr Worte verletzen und tiefe seelische Narben hinterlassen können. „Hass und Beschimpfungen steckt keiner einfach weg. Mobbing-Erfahrungen verunsichern, sie quälen, sie rauben Schlaf, Energie und schlimmstenfalls den Lebenswillen. Seelische Gewalt durch Beschimpfungen bringt jeden aus dem Gleichgewicht. Aber Suizid ist nie der letzte Ausweg. Das Beispiel von Jay zeigt uns ja auch, dass die Verarbeitung von krassen, negativen Erfahrungen möglich ist.“

Acht von zehn Betroffenen kündigen Suizid an

Durch ihre langjährige Vereinsarbeit weiß Diana Doko, wie wichtig das persönliche Umfeld ist, um Suizide zu verhindern. „Acht von zehn Betroffenen kündigen ihre Suizidabsichten vorher an. Es gibt eine Vielzahl an Warnsignalen, die darauf hindeuten, dass jemand suizidal ist.“ Aufmerken und nachfragen sollte man, wenn jemand einen Plan hat, wann, wie und wo er bzw. sie sich das Leben nehmen will, Tabletten sammelt, bereits einen Suizidversuch begangen hat oder einen Abschiedsbrief schreibt. Diese und viele weitere Warnsignale haben die Freunde fürs Leben auf ihrer Website unter Woran kann man Suizidalität erkennen? zusammengestellt. 

Wie man helfen kann? Der erste und wichtigste Schritt ist, Betroffenen zuzuhören und dabei Geduld und Verständnis zu zeigen. Man sollte nach konkreten Suizidgedanken fragen. Und man sollte seinen Freund bzw. seine Freundin nicht für den Wunsch verurteilen, sich das Leben nehmen zu wollen, sondern es ernst nehmen. „Ein Problem, mit dem man selbst gut zurechtkommt, kann für eine andere Person eine große, wenn nicht sogar unlösbare Herausforderung darstellen,“ sagt Diana Doko. Wichtig sei es, im Gespräch zu bleiben und den Freund oder die Freundin bei der Suche nach professioneller Hilfe zu unterstützen. 

Große Auswahl von Hilfsangeboten

Mit dem Wissen über die Suizidabsicht muss keiner alleine bleiben: Eltern, Lehrer*innen oder Beratungsstellen können unterstützen. Tatsächlich gibt es eine große Auswahl von Hilfsangeboten, ob am Telefon, online oder vor Ort. Hier stehen professionelle Berater*innen zur Verfügung, die Betroffenen in jeder Art von Krise helfen:

TelefonSeelsorge
NummergegenKummer
Hilfe Telefon: Gewalt gegen Frauen
Save me online
Youth Life Line
Weißer Ring 

So arbeiten die Freunde fürs Leben

Über seelische Gesundheit spricht man oft erst, wenn es zu spät ist. Das wollen die Freunde fürs Leben ändern. „Wir sind keine Krisenhelfer oder geschulten Psychologen. Aber wir schaffen Bewusstsein für die Themen seelische Gesundheit, Depression und Suizid. Aufklärung ist wichtig, damit Opfer von Gewalt wissen, dass sie nicht allein sind und wo es Hilfe gibt. Darum unterstützen wir die Telekom-Kampagne #Gegenhassimnetz,“ erklärt Diana Doko. Sie, ihr Gründungspartner Gerald Schömbs, ein kleines Team aus Kommunikationsprofis sowie zahlreiche Ehrenamtliche bilden das Kernteam der Freunde fürs Leben. 

Mit seinen Aktivitäten und Informationen richtet sich der Verein vor allem an junge Menschen. Suizidprävention erfolgt über Social Media Kanäle wie Instagram und Facebook sowie über die gedruckten Pocket Guides. Auf dem YouTube-Kanal und im Podcast Kopfsalat kommen Expert*innen und auch prominente Gäste zu Wort. Sie sprechen über Höhen und Tiefen im Leben, über Krisen und seelische Gesundheit. Als Personen des öffentlichen Lebens zeigen sie: Jeder hat Krisen und es ist okay, darüber zu sprechen. 

rede-darüber

Mit Kampagnen wie 600 Leben oder dem Kunstprojekt Talk! treten die Freunde fürs Leben außerdem mit Betroffenen, Angehörigen, Künstler*innen und Politiker*innen in den Austausch und regen dazu an: Redet darüber! Denn Depression und Suizid sind keine Tabuthemen – es gibt Hilfe.

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*Quelle: European Alliance against Depression e.V. (EAAD e.V.)

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