Telekom-Hackathon: Mit Codes Barrieren überwinden
Großer Programmierwettbewerb an Telekom-Standorten in sechs Ländern: 160 Mitarbeitende haben beim „Hackathon“ Innovationsgeist für Menschen mit Behinderungen bewiesen. In Ungarn betreute ein blinder Kollege die Hackathon-Teams, die Navigationshilfen für sehbehinderte Menschen in Gebäuden entwickelten.
Ein Hackathon ist ein Programmierwettbewerb unter Zeitdruck, rund um ein übergreifendes Thema. Das Wort setzt sich zusammen aus „Hack“ (übersetzt etwa „technischer Kniff“) und der Endung „-thon“ von Marathon. Beim „Hack4Humans 2024“ entwickelten 21 Telekom-Teams in sechs Ländern digitale Lösungen für Menschen mit Behinderungen oder Einschränkungen. Sie hatten knapp drei Tage dafür. Vorab entschieden sich die Teilnehmenden für eine von sechs Challenges.
Das Gebäude der Telekom-Tochter Magyar Telekom in Budapest liegt an der Metro-Station Népliget. Ich bin zum ersten Mal hier. Und aufgeregt als ich die Treppen von der Station hochkomme und reingehe. Ein Neun-Etagen-Bauwerk. Ein hohes Foyer, die Fläche so groß wie ein Freibad. Es empfängt mich mit Glas, Stahl und Flächen in Weiß und unserer Hausfarbe Magenta. Die nette Rezeptionistin weist mir den Weg zu den Aufzügen. Mein Ziel: „4D Raum 136“. Oben im Vierten verlaufe ich mich prompt. Eile durch die Bauteile A bis H. Wo ist D? „Lost in location“, denke ich. Trotz Plänen und Zeichen an den Wänden. Dann klappt es mit Nachfragen. Ich schaffe es rechtzeitig zum Start des „Hack4Humans 2024“. So heißt unser internationaler Hackathon.
Wie komme ich zum Klo?
Was für mich eine Extrarunde bedeutet, ist für rund 30 Millionen Menschen in Europa (Quelle Deutsche Blindenunion) eine Barriere: Wer blind ist oder nur wenig sieht, hat in solchen Gebäuden nur wenig Orientierung. Wo sind die Aufzüge? Wo die Tasten? Wie komme ich zum Klo, wie zum Meeting? …
Lassen sich diese Barrieren überwinden? Beim Hack4Humans will ich mehr erfahren. Daher bin ich in Budapest. Im „4D136“ bin ich mit Csaba Almádi verabredet. Er ist blind. Der Software-Ingenieur der Deutschen Telekom IT (DTIT) betreut die Teams, die in einer von sechs „Challenges“ Prototypen entwickeln für eine „Einfache Indoor-Navigation für sehbehinderte Menschen“.
Wir stellen uns einander vor. Rundum herrscht schon wuselige Aufregung. Kaffeegeschirr klirrt. Rund 40 Kolleginnen und Kollegen versammeln sich vor großen Bildschirmen, darauf Livebilder von Teams in Prag, Košice, València, Thessaloniki und von der zentralen Bühne in Bonn. Wir winken uns allen zu. Ich lerne hier Éva Wábel und Regő Kozma kennen. Beide organisieren das Event in Budapest, stimmen sich eng mit ihren Pendants in den anderen Ländern ab – und stehen allen mit Rat und Tat zur Seite. Auch mir als Reporter.
Nach dem Startschuss aus Bonn verschwinden alle aus dem 4D136 in ihre Teamräume: Challenge-Auftakt per MS Teams. Ich darf Csaba beim Online-Meeting seiner Challenge Nummer 6 begleiten. Sieben Teams, davon drei hier in Budapest sind eingewählt – alle betreut von Julian Kipka und Luis Pflamminger aus Bonn und Csaba aus Budapest.
"Ich kann mir nur wenige Wege merken“
Darum geht es bei Challenge 6: Es soll eine App für iOS oder Android entwickelt werden, zumindest eine erste machbare technische Version. Diese soll so genannte „Bluetooth LE Beacons“ nutzen, um sehbehinderten Menschen die Navigation in unseren Bürogebäuden zu erleichtern. Beacons sind kleine Scheiben – etwa so groß wie Mantelknöpfe. Sie können in Räumen und Gängen beliebig verteilt werden und senden kontinuierlich ein schwaches Bluetooth Signal. Die Grundidee ist, die Beacons mit kurzen Schlüsselwörtern wie „4. Stock“ oder „Treppe“ zu füttern. Die App kann durch die Signalstärke der Beacons feststellen, wie weit der Nutzer vom nächsten Punkt entfernt ist. Diese Informationen übersetzt sie dann in Anweisungen wie „Es gibt eine Treppe auf der rechten Seite“. Die App könnte beispielsweise per Sprachausgabe oder Vibration mit dem Nutzer kommunizieren.
Csaba schildert im Auftakt-Meeting seine Perspektive, vor allem nach dem Umzug der IT in das große Gebäude vor zwei Jahren. Er beschreibt, wie er mit seinem Blindenstock Hindernisse erfasst, aber nie ganz geradeaus gehen kann. Dass er keine Schilder oder Tasten findet. Vor allem: „Ich kann mir nur wenige Wege merken, ich brauche Führung“, sagt er und appelliert mit Blick auf die Technologie: „Denkt über den Tellerrand hinaus. Ich möchte euren Innovationsgeist nicht einengen, bestimmt kommt ihr auf andere Ideen als ich.“ Ich merke: Die Challenge ist nicht leicht in der Kürze der Zeit. Csaba sagt allen zu, dass er immer für Fragen zu seinem Alltag für sie da sei. Seine offene Haltung zur Innovation beeindruckt mich.
„So viel aus dem Leben herausholen wie es geht“
Als die Teams „hacken“, haben wir etwas Zeit. Dass ich ihn alles fragen kann, erlebe ich im Gespräch mit Csaba. Etwa zu den Programmen, die ihm Bildschirminhalte vorlesen. Die PC-Tastatur beherrscht er seit der Kindheit. Wenn er programmiert, liest ihm der Screenreader die Codes vor. Und genauso die Webseiten, die er besucht. Über Shortcuts gelangt er etwa zu den Headlines, wie er mir zeigt.
Éva sitzt auch bei uns: „Wenn Csaba im Meeting seinen Bildschirm teilt, sehe ich, wie er flotter durch Anwendungen navigiert als ich“, sagt sie. Zwischendurch zeigt er mir, wie er mit dem Blindenstock durchs Gebäude geht. Sagt, dass er mit Plänen an der Wand nichts anfangen kann, ja auch mit der freien Hand nichts weiter anfassen möchte - falls er schnell reagieren muss. Unterwegs in Gebäuden, so verrät er mir, würde ihm persönlich ein Vibrationsalarm am Handy als Signal am ehesten helfen, etwa an Treppen.
Csaba kam zum MSC-Studium (Software-Ingenieur) aus seiner Heimatstadt nahe der slowakischen Grenze nach Budapest. Nach einem ersten Job wechselte er 2022 zur Telekom. Es ist einfacher für Blinde in großen Städten, sagt er: „Mit der Metro kann ich alles erreichen, und das Angebot ist besser.“ Csaba engagiert sich ehrenamtlich im Vorstand des Blindensport-Verbandes in der ungarischen Hauptstadt. Der Verband bietet sogar Skireisen an. „Ski?“ Ich staune als Csaba mir beschreibt, wie er mit 50 Stundenkilometern die Piste abfährt, immer gefolgt von einem Guide, der ihn per Funk navigiert. Dabei erfahre ich auch Csabas Motto: „So viel aus dem Leben herausholen wie möglich.“
Das große Finale: Und die Gewinner sind …
Zeitsprung, 48 Stunden später.
Wenig Zeit und viele Ideen: 160 Menschen haben alles gegeben. Das merkte ich bei Gesprächen in der Kaffeeküche. Viele kamen nur kurz zum Essen. Diskutierten eifrig in ihren Räumen, bereiteten Präsentationen vor und codeten bis nach Mitternacht. Am Ende sitzen alle wieder im 4D136 vorm Bildschirm. Ein Team nach dem anderen präsentiert seine Lösung. Es geht um barrierefreie Identifikation, und um ebensolches Prompten und Coden. Um Weboberflächen für neurodiverse Menschen, also etwa Menschen mit Autismus. Um Hilfe zur Selbsthilfe bei Online-Kriminalität. Und eben um die Gebäudenavigation. Mir fällt auf, wie wertschätzend sich alle mit den Ideen der anderen befassen.
Am Ende stehen zwei Teams aus der Navigations-Challenge auf dem Podest. Das Team „Agora“ liegt in der Kategorie „Challenge“ vorn, bei der Csaba, Julian Kipka und Luis Pflamminger die Jury bildeten. Und das Team „Wayfinder“ aus Košice holt sich den Sieg in der Kategorie „Standorte“. „Agora“ präsentierte eine ausgereifte Lösung mit Bluetooth plus WLAN und einer Trackingtechnik namens „Fingerprinting“. Die Umgebung wird per Screenreader wiedergegeben. „Wayfinder“ löste sich von den Beacons und bewies Innovationskraft mit einer Objekt- und Wegeerkennung per Handykamera und Algorithmen.
Ich bin kein Softwareexperte. Auch kann ich mich nur begrenzt in die Welt von Menschen mit Behinderungen hineinversetzen; 100 Millionen Menschen in Europa haben laut EU-Kommission eine Behinderung. Für mich steht aber fest: Sie dürften die eigentlichen Gewinner des Hackathons sein. 160 Fachleute steckten drei Tage für sie die Köpfe zusammen, nahmen Ideen und die Stimmung mit in ihren Alltag. Danke, Csaba, für die vielen Einblicke. Danke, Éva und Regő für eure Gastfreundschaft. Danke, liebes Hack4Humans-Team.