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Anja Ingenrieth

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Europas „Green Deal“ – Warum die grüne Wende das Digitale braucht

Der Anspruch war von Anfang an historisch hoch: Der „Green Deal“ sei Europas „Mann auf dem Mond“ Moment, verkündete EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen im Dezember 2019 in Anspielung auf Neil Armstrongs Mondlandung. Seitdem hat ihr politisches Prestigeprojekt gehörig Fahrt aufgenommen. Die EU soll eine Vorreiter-Rolle beim Kampf gegen die Erderwärmung übernehmen – und Europa bis 2050 der erste klimaneutrale Kontinent der Welt werden. In unserer neuen Folge des EU Digitalpolitik Podcasts aus Brüssel spricht die europäische Europaabgeordnete Alexandra Geese über die Chancen der Digitalisierung für mehr Nachhaltigkeit im Netz.

Neue Gesetze der Europäischen Union machen Nachhaltigkeit zum Top-Thema.

Neue Gesetze der Europäischen Union machen Nachhaltigkeit zum Top-Thema. © Deutsche Telekom

Digitalisierung für mehr Klimaschutz

Diese grüne Transformation der Wirtschaft ist in vollem Gange: vom Aus für den Verbrennungsmotor auf den Straßen über den beschleunigten Ausbau erneuerbarer Energien bis hin zu einem steigenden Preis für C02 durch den reformierten Emissionshandel. Der russische Angriffskrieg in der Ukraine hat das Thema Energiesicherheit ganz oben auf die politische Agenda gerückt. Auch wenn der Abschied von fossilen Brennstoffen in der Krise länger dauert als geplant, der Ausbau von Energie aus Wind, Sonne und Co. bleibt ein zentraler Baustein beim Bestreben für Europas Unabhängigkeit in Sachen Energie. 

Auch Digitalisierung spielt im Green Deal der EU eine wichtige Rolle. Denn digitale Infrastruktur und Services – vom smarten Wohnhaus bis zum autonomen Fahren – können ein Vielfaches von dem an C02 einsparen helfen, was die Informations- und Kommunikationsbranche selbst an Treibhausgasen produziert. 

Europabgeordnete Alexandra Geese

Europabgeordnete Alexandra Geese will Digitalisierung und Nachhaltigkeit besser miteinander verzahnen.

Das sieht auch die Bonner Europaabgeordnete Alexandra Geese von Bündnis 90/Die Grünen so: „Mit digitalen und datengetriebenen Innovationen können wir den Energie- und Ressourcenverbrauch zielgerichtet reduzieren. Diese Chance müssen wir nutzen.“ Sie hat einen Leitantrag für eine engere Verzahnung von Nachhaltigkeit und Digitalisierung bei der jüngsten Bundesdelegiertenkonferenz in Bonn eingebracht. Die EU spreche zwar von einer grünen und digitalen „twin transition“ – behandele beides im Gesetzgebungs-Alltag aber eben noch nicht als zwei Seiten einer Medaille, so Geese in unserem Telekom Netz Podcast. „Nur wenn wir die digitale und die grüne Transformation zusammen denken, können wir die Herausforderung der Klimakatastrophe bewältigen.“ 

Klimaneutrale Rechenzentren bis 2030

Sie sieht Nachholbedarf bei Transparenz und Vergleichbarkeit. „Wir wissen viel zu wenig über Energie- und Ressourcenverbräuche – etwa von Social Media.“ Browser, Suchmaschinen, digitale Marktplätze, soziale Netzwerke müssten in Zukunft in Hinblick auf Strom- und Ressourcenverbrauch vergleichbar sein. Nur so könnten Verbraucher bewusst nachhaltige Produkte wählen und sich Unternehmen in einem Markt, der nicht über den Preis reguliert werde, durch Nachhaltigkeit auszeichnen. „Dafür müssen europäische Standards entwickelt werden.“ 

“Ressourcen- und Energieeffizienz by design” müssten zudem zum Ausgangspunkt in der Konzeption und beim Betrieb digitaler Infrastrukturen werden. Neue Rechenzentren in Deutschland sollen laut Koalitionsvertrag spätestens ab 2027 klimaneutral betrieben werden und alle Rechenzentren in Europa bis 2030 klimaneutral sein. Auf EU-Ebene hat das Parlament in der neuen Energie-Effizienz-Richtlinie ein Kataster für Rechenzentren ab 2024 beschlossen. 

Der in der „Digitalen Dekade“ vorgesehene flächendeckende Ausbau von Glasfaser und 5G bis 2030 in Europa hilft der grünen Wende, da beide Netzgenerationen deutlich effizienter sind als vorhergehende. Dennoch machen Netze und Rechenzentren gar nicht den Löwenanteil der C02 Emissionen im IKT Sektor aus, sondern Geräte. 

Weg von Wegwerfmentalität 

Ein wesentlicher Baustein der EU-Pläne ist daher die Kreislaufwirtschaft. Denn Europa produziert jede Menge Elektronikschrott. Viel zu schnell werden Handys und Laptops durch Neugeräte ersetzt statt repariert. Und zu oft schlummern Altgeräte in Schubladen, statt die enthaltenen Rohstoffe zu nutzen. 

Ein digitaler Produktpass soll die Ökobilanz von Geräten künftig transparenter machen. Zudem soll es ein Recht auf Reparatur und klare Recyclingvorschriften geben. „Die geopolitische Lage führt uns nochmal deutlich vor Augen, dass es wenig Sinn macht, bei uns Rohstoffe wegzuwerfen und ungenutzt zu lassen, die wir aus anderen Regionen der Welt importieren müssen, wo die Menschenrechtslage schlecht ist oder neue ungute Abhängigkeiten entstehen“, mahnt Alexandra Geese. Ein Fokus auf Geräte greife jedoch zu kurz – auch verpflichtende Software- und Sicherheitsupdates müsse es geben, denn auch das erhöhe die Lebensdauer vieler Geräte. Die Europaabgeordnete glaubt, dass die junge Generation längst Abschied vom Wegwerfgedanken genommen hat. „Ich habe den Eindruck, dass sich was ändert. Junge Leute kaufen verstärkt gebrauchte Kleidung. Sie würden auch gebrauchte Geräte kaufen, wenn es mehr davon gäbe.“

Datensparsamkeit hilft der Umwelt

Apropos Bewusstseinswandel. Sorgen bereitet der Grünen-Politikerin der stark wachsende Datenverkehr, der rund 30 Prozent pro Jahr zunimmt. Die Telekommunikations- und IT-Branche ist derzeit für zwei bis vier Prozent der globalen Treibhausgasemissionen verantwortlich – doch die Tendenz ist steigend. Denn bisher ist es mit enormen Effizienzgewinnen in der digitalen Infrastruktur gelungen, die negativen Umwelteffekte auszugleichen. Diese Effizienzen sind aber irgendwann ausgereizt. Hinzu kommt: „Effizienzgewinne bei der Digitalisierung werden zu oft durch zusätzlichen Konsum aufgefressen, z.B. wenn wir durch verbesserte Datenübertragung mehr Dienste in Anspruch nehmen als vorher“, sagt Geese. Anreize für Datensparsamkeit seien deshalb zentral.

Ein Beispiel: Video-Streaming sei für geschätzte 60 Prozent des Datenverkehrs im Internet verantwortlich, so Geese. Die freiwillige Begrenzung von Streaming-Bitraten durch große Streaming-Dienste während der COVID-19-Krise habe reibungslos funktioniert. „Warum sind geringere Auflösungen als technisch möglich nicht als Voreinstellung verpflichtend? Ebenso muss das automatische Abspielen von Videos, z.B. beim Öffnen einer Seite nicht automatisch aktiviert sein“, meint die Bonner Europapolitikerin. Sprich: der Verbraucher soll entscheiden, ob er ein Video überhaupt sehen oder einen Film in höchster Qualität streamen will. 

Geeses Fazit: „Wir brauchen eine grüne Digitalisierungsstrategie, mit der wir das Nachhaltigkeitspotenzial in vollem Maß ausschöpfen und gleichzeitig die umweltschädlichen Auswirkungen der Digitalisierung eingrenzen.“ Dazu will die Bonner Grünen-Politikerin im Europaparlament möglichst viel beitragen. 

PodcastDigitalpolitik aus Brüssel: Warum die grüne Wende ohne Digitalisierung nicht gelingt

Anja Ingenrieth

Anja Ingenrieth

Vice President European Affairs Brussels Deutsche Telekom AG

Dachterrasse und Kuppel des Reichstags in Berlin.

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