ISDN: Die Kommunikationsrevolution der 1990er
Mit ISDN trat ab 1989 eine Telekom-Technologie an, die das Internet beschleunigte und unterschiedliche Netze vereinte. Ein Hommage.
Es war März 1989. In Bonn regierte Helmut Kohl, die Mauer stand felsenfest, Deutschland pfiff „Don’t Worry, Be Happy“ von Bobby McFerrin, und plötzlich begann die Zukunft. Die Zukunft trug vier Buchstaben: ISDN. Auf der CeBIT in Hannover stellte – nein, nicht die Telekom, sondern die gute alte Deutsche Bundespost – die Kommunikation von morgen vor: ISDN.
Motto: Don’t Worry, Be Happy, jetzt starten neue Zeiten! Das geheimnisvolle Kürzel, das nach Fortschritt klang, nach dem fernen Jahr 2000, beinahe nach Science-Fiction, stand für „Integrated Services Digital Network“. Kein Mensch konnte sich damals darunter etwas vorstellen.
Doch heute wissen wir: Mit ISDN hat die digitale Kommunikation begonnen, so wie wir sie heute kennen. Die vier Buchstaben hätten auch für „Ich. Sehe. Das. Neue.“ stehen können. Wir erzählen die Geschichte einer technischen Revolution, die nun langsam endet – doch deren Auswirkungen bis ins Jahr 2016 zu spüren sind.
Wie sah die Welt vor ISDN aus?
Bis zur Einführung der digitalen Technik hatte sich ein Jahrhundert lang reichlich wenig getan beim Telefonieren und beim Datenaustausch. Die Leitungen waren so analog, wie sich das Telefon-Erfinder Alexander Graham Bell und seine Kollegen im 19. Jahrhundert wunderbar ausgedacht hatten. Es gab getrennte Netze für Telefonieren, Teletext oder Fernschreiber, die mehr schlecht als recht verknüpft worden waren. Und das Fräulein vom Amt wurde langsam alt und grau, hatte Rückenweh von ihrer jahrzehntelangen sitzenden Tätigkeit.
Doch nun konnte das altersschwache Post-Fräulein endlich in Pension gehen. Denn ISDN, „das Universalnetz für die Telekommunikation“ (O-Ton Post) – das bedeutete: Ein gemeinsames schnelles und digitales Netz für alle Kommunikationswege, für Sprache und Daten, für Texte und Bilder. Im Jahr 2016 klingt das selbstverständlich. Doch im Deutschland des Jahres 1989 bedeutete es sozusagen den kommunikativen Mauerfall.
Was hat sich durch ISDN geändert?
Plötzlich wuchsen Geräte zusammen, die sich zuvor fremd waren. „Alle modernen Telefone, Telefaxgeräte und Computer sprechen die gleiche digitale Sprache“, schwärmte ein Werbefilm aus dem Jahr 1992 und versprach „Computern via Datenleitung, Telefonieren und Faxen superschnell“. Es gab sogar ein Bildtelefon, sozusagen ein frühes Skype.
Wer ISDN bereits zu Hause hatte, konnte dank zweier Leitungen parallel telefonieren und faxen. Mama konnte mit Papa und gleichzeitig die Tochter mit dem Freund telefonieren, ohne sich ins Gehege zu kommen. Und weil pro Anschluss bis zu zehn Rufnummern verfügbar waren, hatte der Nachwuchs seine eigene Nummer – was für ein Segen für den Familienfrieden!
Ab 1995 war ISDN in Deutschland flächendeckend verfügbar, und das Internet kam auf. Die Telekom-Kunden, die vom Modem auf die neue Technik umstiegen, ersparten sich endlich diesen gefürchteten Satz, der allen Kindern der 90er bis heute in den Ohren hallt: „Raus aus dem Internet, ich muss telefonieren!“ Mit ISDN klappte beides gleichzeitig – und das auch noch viel schneller als mit dem fiependen Modem.
Statt mit 14,4 oder 28,8 Kilobit pro Sekunde (kbit/s) surften Fortschrittsgläubige per ISDN mit 64 kbit/s – und wenn Mama oder Papa endlich fertig waren mit dem Telefonieren, dank Kanalbündelung sogar doppelt so flott. Mit rasend schnellen 128 Kilobit dauerte es 1999 gerade mal fünf Minuten, bis Lou Begas „Mambo No. 5“ von Napster auf dem eigenen Rechner landete. Solche Downloads waren zwar mehr als nur „A little bit of illegal“ – doch dafür konnte ja ISDN nichts.
Was sagt der ISDN-Fan?
Telekom-Sprecher George-Stephen McKinney aus Frankfurt ist wohl einer der altgedientesten deutschen ISDN-Nutzer. Er stieg 1994 auf die neue Technik um – und blieb ISDN bis Anfang 2016 treu. Seine Eumex-Anlage hat zwar ausgedient, hat aber noch einen wichtigen Zweck zu erfüllen: Sie hängt zu Hause bei McKinney bis heute an der Wand und verdeckt den weißen Fleck, der sich dort im Laufe der vielen Jahre gebildet hat. „Die lasse ich auch hängen, denn dahinter sieht es hässlich aus.“
22 Jahre ISDN, was hat ihn so lange an der Technik fasziniert? „1994 war ISDN für mich der absolute Hammer, denn es konnte Sachen, die ich vorher nicht kannte“ – vor allem natürlich gleichzeitig telefonieren und faxen, oder auf zwei Leitungen sprechen. Aber auch das Telefonieren selbst wurde so bequem wie nie, dank T-NetBox, dem Anrufbeantworter im Netz, dank Rufnummernanzeige, Anklopfen, Makeln, Weiterschalten oder Konferenzen mit bis zu drei Teilnehmern.
George-Stephen McKinney: „Ich fühlte mich als Speerspitze des Fortschritts.“ Später kam auch bei ihm zu Hause DSL fürs Internetsurfen dazu, doch fürs Telefonieren oder Faxen blieb ISDN bis 2016. Und es lief und lief und lief: „Wie ein alter Käfer oder ein Strich-Achter-Mercedes, stocksolide Technik.“
Das Fazit von McKinney: „Es war nicht alles schlecht damals. Und ein Stück Papier ins Fax zu legen, ging allemal schneller und war bequemer, als es einzuscannen, in ein PDF umzuwandeln und es per Mail zu verschicken.“
Warum muss ISDN nun Platz machen?
„Alte Technik macht der neuen Platz", hieß es 1992 im ISDN-Werbefilm. Und so wird es auch Ende 2018 sein, wenn die Telekom das ISDN-Netz nach fast 30 Jahren endgültig abschaltet. ISDN geht, IP kommt.
Das moderne internetbasierte Netz, dessen Aufbau dann bundesweit abgeschlossen ist, sorgt für schnelleres Surfen, bessere Sprachqualität und mehr Komfort. Internetfernsehen mit EntertainTV in Full HD oder 4K, das Steuern aller Telefonfunktionen unter telekom.de/telefoniecenter oder der Anrufbeantworter SprachBox Pro als App auf dem Smartphone – erst IP macht’s möglich.
ISDN-Fan George-Stephen McKinney hätte seine Eumex noch bis 2018 nicht nur als Wandschmuck und Fleck-weg-Kästchen nutzen können, sondern auch zum Telefonieren. Warum verabschiedete er sich „schon“ jetzt von seiner bewährten Anlage?
Ganz einfach: Wer noch mit ISDN telefoniert und mit DSL surft, „verschenkt“ Bandbreite, denn ein Teil der Leitungskapazität bleibt für Sprache reserviert. Vor allem außerhalb der großen Städte ein wichtiges Argument. McKinney: „20 bis 25 Prozent schnelleres Internet sind nach dem Abschied von ISDN allemal drin.“ Wer früher zu IP wechselt, kommt also beim Surfen früher auf Touren.
Leicht gefallen ist George-Stephen McKinney der Abschied vom liebgewonnenen ISDN trotzdem nicht – nach fast einem Vierteljahrhundert. „Im Strafrecht bedeuten bereits 15 Jahre lebenslänglich. Da sind 22 Jahre mit ISDN doch eine ganz schön lange Zeit.“