Warum digitale Kompetenz mehr ist als Programmieren
Programmieren liegt im Trend. Schon vor vier Jahren hat US-Präsident Obama für die „Hour of Code“ geworben, die Menschen weltweit für die Informatik und das Programmieren begeistern will. Eine andere NGO, die fürs Programmieren wirbt, wird von Silicon Valley Größen finanziert www.code.org. In Deutschland gründete sich die Initiative „Jeder kann programmieren“. Und aus Politik und Wirtschaft kommen zunehmend Forderungen, Programmieren als Pflichtfach in die Lernpläne von Schulen aufzunehmen.
Geht es den Protagonisten eines Pflichtfachs Programmieren um eine frühzeitige Qualifizierungsmaßnahme für den späteren Arbeitsmarkt und darum, die nächste Generation von Software-Entwicklern heranzuziehen? Unbestreitbar besteht heute ein großer Bedarf an Softwareentwicklern. Wer kennt nicht Marc Andreessen’s Statement „Software is eating the world“. Software dominiert so ziemlich jeden Aspekt unseres Lebens, ob Finanzen oder Fitness, ob Reisen oder Shopping. Apps steuern nicht nur Tablet und Smartphone, sondern managen auch das intelligente Zuhause oder Fahrzeug. Traditionelle Industrien werden durch Software radikal modernisiert und transformiert. Heute brauchen nicht mehr nur große Unternehmen Entwickler und Programmierer, sondern auch fast jeder Mittelständler. Der Bedarf an Zielgruppen-spezifischer innovativer Software war nie größer.
Und Studien sagen voraus, dass Teilbereiche der allermeisten Jobs irgendwann automatisiert werden. Wie der Arbeitsmarkt der Zukunft im Detail aussehen wird, weiß aber heute noch niemand – welche Jobs es noch geben wird, welche nur noch maschinell erledigt werden und welche neuen Jobs entstanden sein werden. Wir können heute nur erahnen, wozu Maschinen in 10 oder 20 Jahren in der Lage sein werden. Und wer weiß schon, was für Programmiersprachen dann benutzt werden - vielleicht gar keine mehr. Das Technik-Magazin „Wired“ spekulierte im Juni 2016, dass wir bei den Fortschritten künstlicher Intelligenz und selbstlernender Maschinen Computer bald nicht mehr programmieren, sondern wie Hunde trainieren. Je besser das Sprachverständnis der Maschine, je klüger die dahinter stehende Intelligenz - die gesprochene Sprache selbst könnte zur wichtigsten Programmiersprache werden, so eine Einschätzung.
Oder zielt die Forderung nach dem Pflichtfach Programmieren darauf ab, Kinder und Jugendliche generell fit zu machen für die Digitalisierung? Dann sollte die Forderung weiter gehen. Ohne Zweifel sind digitale Kompetenzen für die junge Generation ein wichtiges, vielleicht sogar das wichtigste Element der beruflichen Zukunftssicherung. Aber Programmieren ist nur ein Element der Digitalkompetenz. Wer in der Schule die Grundlagen des Programmierens erfolgreich lernt, kann programmieren. Und dann?
Als isolierte digitale Kompetenz befähigt das Erlernen von Programmiersprache nur begrenzt dazu, an der digitalen Welt teilzuhaben, sich in ihr zurechtzufinden und sie mitzugestalten.
Schulfach Digitalkunde
Ich plädiere stattdessen für ein Pflichtfach „Digitalisierung“, das Kinder und Jugendliche zu digital souveränen Bürgern macht und sozusagen das „bigger picture“ der Zusammenhänge in der digital vernetzten Welt vermittelt. „Digitalisierung“ könnte als eine Art Querschnittsfach ausgestaltet sein, in dem ein breites Verständnis der „Entstehung“ und der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Auswirkungen von Digitalisierung vermittelt wird.
Die Befähigung zur Nutzung digitaler Geräte müsste selbstverständlich dazugehören. Des Weiteren Medienkompetenz im Sinne einer Fähigkeit zur Auswahl sozial akzeptabler digitaler Inhalte und zur Einschätzung der Objektivität von Inhalten, digitale Selbstbestimmung und der Umgang mit Social Media und digitalen Ruhezeiten, sowie Grundkenntnisse in Datensicherheit und Datenschutz. Auch ökonomische Bildung gehört meines Erachtens dazu: der Arbeitsmarkt der Zukunft wird noch stärker als heute durch unzählige neue Geschäftsmodelle und neue Formen des Wirtschaftens geprägt sein. Wer sich in dieser Welt zurechtfinden und erfolgreich sein will, braucht ein Mindestmaß an Kenntnis wirtschaftlicher und finanzieller Zusammenhänge.
Ob der Erwerb von Grundkenntnissen im Programmieren Bestandteil der „Digitalkunde“ sein sollte, sollte jeder für sich selbst entscheiden können. Ein grundlegendes Verständnis davon, wie eine Technologie funktioniert, kann Kindern und Jugendlichen bei einem mündigen und verantwortungsvollen Umgang mit digitalen Produkten und Dienstleistungen helfen. Für die meisten dürfte so ein Grundverständnis zumindest im schulischen Rahmen erstmal ausreichend sein. Und dafür muss man nicht zwingend das Entwickeln von Software beherrschen. Deswegen sollte das Erlernen von Programmiersprachen nicht per Curriculum vorgeschrieben werden, sondern ein Angebot, ein Wahlfach sein für alle die, die für Tüfteln und Technik brennen und davon träumen, die nächste Killer-App zu entwickeln. Das interessiert nicht Jedermann, und das ist auch ok so. Auch in der digitalen Welt braucht es Philologen, Philosophen und Künstler.