"Design für Alle“ – Umdenken im großen Stil
Bei der Telekom stehen wir für digitale Teilhabe und Chancengerechtigkeit. Trotzdem eignen sich unsere Produkte und Services bisher oft nur für bestimmte Menschen und Zielgruppen. Mit „Design für Alle“ wollen wir erreichen, dass noch mehr Menschen besseren und leichteren Zugang haben. Bei der Telekom setzt sich Annika Theiß von Group Corporate Responsibility dafür ein.
Annika, warum brauchen wir „Design für Alle“?
Annika Theiß: „Design für Alle“ bedeutet, Dinge so zu gestalten, dass sie für jeden Menschen gut funktionieren. Mit anderen Worten: Unsere Produkte und Services sollen barriere- und diskriminierungsfrei sein. Dafür muss schon ganz zu Beginn des Entwicklungs- und Designprozesses eine große Bandbreite menschlicher Vielfalt berücksichtigt werden, zum Beispiel Menschen unterschiedlichen Geschlechts, Alters oder mit unterschiedlichen geistigen und körperlichen Fähigkeiten. Das ist nicht nur fair - darin liegt auch ein großes Marktpotenzial.
Was sind die Folgen, wenn man Vielfalt nicht von Anfang an mitdenkt?
Annika Theiß: Ein paar Beispiele: Spracherkennung funktioniert bei Frauen und Kindern häufig nicht, weil 70 Prozent der Stimmdaten, mit denen die KI trainiert wird, männlich sind. Oder die Gesichtserkennung: Die funktioniert bei weißen Menschen deutlich besser als bei People of Colour. Sehr viele ältere Menschen haben Probleme bei der Bedienung technischer Geräte. Eine Vereinfachung würde nicht nur ihnen, sondern allen Menschen zugutekommen. Es gibt so viele Stellen, an denen man ansetzen kann. Aber dafür braucht es ein Umdenken in großem Stil – auch bei uns im Konzern.
Aber es sind doch nur wenige Menschen betroffen?
Annika Theiß: Ganz im Gegenteil! In einer aktuellen Studie von Eurostat gibt ein Viertel aller in Europa Lebenden an, eine langfristige Beeinträchtigung oder Behinderung zu haben. Hinzu kommen Menschen mit vorübergehenden Einschränkungen, zum Beispiel durch Verletzungen wie einen Armbruch oder Krankheiten wie einen Tinnitus. Auch Ältere, Frauen, Kinder, People of Colour und Menschen unterschiedlicher Geschlechtsidentität sollten von unseren Fachleuten beim Programmieren, in der Produktentwicklung und beim Design von Anfang an mitgedacht werden. Das passiert heute noch viel zu wenig.
Gibt es ein Beispiel für eine Vereinfachung, die für alle hilfreich ist?
Annika Theiß: Ja, beispielsweise der Zoom zur Bildschirmvergrößerung beim iPhone hilft einerseits Menschen mit einer Sehbehinderung und ist gleichzeitig sehr beliebt bei allen Menschen, die gerade ihre Brille nicht zur Hand oder müde Augen haben. Neben dem Bildschirm-Vorleseprogramm VoiceOver bietet Apple weitere Anpassungen für Menschen mit motorischen und kognitiven Beeinträchtigungen. So macht Apple die Geräte nicht nur barrierefrei, sondern auch für eine sehr breite Personengruppe einfach bedienbar – und das ist der Markenkern!
Tritt zum Thema Barrierefreiheit nicht auch bald ein neues Gesetz in Kraft?
Annika Theiß: Ja, im Juni 2025 kommt das Barrierefreiheitsstärkungsgesetz. Wenn Unternehmen diese Vorgaben zur barrierefreien Zugänglichkeit von Produkten und Services nicht erfüllen, könnten Produkte und Services verboten oder zurückgerufen werden. Zudem drohen Bußgelder – von der Rufschädigung ganz zu schweigen.
Was tun wir bei der Telekom heute schon – hast du positive Beispiele?
Annika Theiß: Da fällt mir der videobasierte Live-Chat in Gebärdensprache beim Service ein. Oder das Team von der Telekom MMS. Sie beraten seit Jahren zu Barrierefreiheit und Software-Ergonomie bei digitalen Anwendungen und bieten jetzt auch ein „Design für Alle“-Gutachten an.
Gleichzeitig möchte ich transparent sein und deutlich sagen, dass wir noch viele Herausforderungen und einen langen Weg vor uns haben. „Design für Alle“ erfordert eine Kulturveränderung und diese braucht Zeit.
Wie bringst du dich mit deinem Team für „Design für Alle“ ein?
Annika Theiß: Wir haben Unterstützungsangebote für die Umsetzung in den Telekom Segmenten erarbeitet, wie beispielsweise den „Design für Alle Guide“ oder das „Basistraining“. Außerdem haben wir vor einem Jahr ein Sounding Board aus diversen internen und externen Fachleuten ins Leben gerufen. Von ihnen kann man Produkte und Services bewerten lassen und Ideen für Verbesserungen im Sinne eines „Designs für Alle“ einholen. Es ist absolut bereichernd, dass dort so viele unterschiedliche Perspektiven zusammenkommen und man dieses Wissen anzapfen kann – es öffnet einem wirklich die Augen und erweitert den Horizont.
Annika, wenn ich Produktentwicklerin wäre - was wäre dein Tipp für mich?
Annika Theiß: Je früher man „Design für Alle“ im Entwicklungs- und Designprozess mitdenkt, desto besser. Sonst bleibt es allzu oft beim umständlichen Nachbessern am fertigen Produkt. Deshalb habe ich gleich drei Tipps mitgebracht:
1. Trainiert KI mit diversen und ausgewogenen Datensätzen!
2. Bezieht Menschen aus verschiedenen Dimensionen der Vielfalt früh in die Tests mit ein!
3. Bringt Vielfalt in die Entwicklungs- und Management Teams!
Denn je vielfältiger die Perspektiven innerhalb eines Teams, desto ganzheitlicher die Berücksichtigung menschlicher Bedürfnisse.
Und damit viel Spaß bei „Design für Alle“ 😊