Europas Digitale Dekade: Mehr Schubkraft für Europas Telekommunikationsbranche
In ihrer ersten Grundsatz-Rede zur Lage der Europäischen Union im Herbst vergangenen Jahres rief Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen die 2020er-Jahre zur „Digitalen Dekade“ aus. Es sei nicht hinnehmbar, dass in Europa 40 Prozent der Menschen in ländlichen Gebieten immer noch keinen Zugang zu schnellem Breitband hätten, so von der Leyen. Kurz darauf kündigte sie sieben Leuchtturm-Projekte an, darunter auch der zügige Ausbau schneller Breitbandnetze – insbesondere Glasfaser und 5G – in der EU. Jetzt hat die Kommission den digitalen Kompass für die Digitale Dekade im Detail vorgestellt. Ein Kernpunkt: Alle europäischen Haushalte sollen bis 2030 über Gigabit Konnektivität verfügen und alle bevölkerten Gebiete mit 5G versorgt sein.
Aber: der Weg dahin ist steinig. Denn die Investitionslücke ist groß. Die Kommission beziffert sie auf 65 Milliarden Euro im Jahr für Netze und andere digitale Infrastruktur.
Und Europas Telekommunikationsbranche, die moderne und schnelle Netze bauen soll, kränkelt. Eigentlich hätte 2020 für die Branche ein goldenes Jahr werden sollen. Millionen Menschen mussten in Coronazeiten von zu Hause arbeiten und waren mehr denn je auf Breitband- und Mobilfunknetze angewiesen, um ihren Beruf auszuüben und sich in ihrer Freizeit zu beschäftigen. Die Nachfrage nach dem wichtigsten Produkt der Branche – Konnektivität – war so hoch wie nie.
Die Realität ist aber eine andere. Die börsennotierten europäischen Telekommunikationsunternehmen mussten im vergangenen Jahr einen Wertverlust von durchschnittlich 15 Prozent hinnehmen. Damit setzte sich eine Abwärtsspirale fort, die 2015 begann, als Investoren das europäische Telekommunikationsumfeld zunehmend skeptisch sahen. Im September 2020 mussten Orange und Telefónica infolge ihres Wertverfalls ihre Plätze im Euro Stoxx 50 räumen, dem Index der wichtigsten auf Euro lautenden Aktien. Ein augenfälliges Symbol für den schleichenden Niedergang der europäischen Telekommunikationsbranche. Deutsche Telekom profitiert von ihrem Engagement in den USA und konnte im Geschäftsjahr 2020 einen Wertzuwachs erzielen.
Im Teufelskreis gefangen
Die europäische Telekommunikationsbranche steckt in einem Teufelskreis sinkender Umsätze, niedriger Renditen, unterdurchschnittlicher Marktbewertung und hoher Verschuldung. Die Datenverkehre wachsen um rund 30 Prozent jährlich – das sind Volumensteigerungen, die kaum eine andere Branche vorzuweisen hat. Aber gleichzeitig sinken die Umsätze der europäischen Telekommunikationsbranche seit 2015 von Jahr zu Jahr, und die Margen sind ebenfalls rückläufig. Aus Investorensicht liegt dies vor allem daran, dass die europäische Telekommunikationsbranche so stark reguliert ist wie sonst kaum ein anderer Sektor, mit keinem Ende in Sicht. Das derzeitige Regulierungs-Mindset ist weiter stark auf Preisdruck fokussiert und nimmt so – salopp formuliert – fortwährend Geld für Investitionen aus dem Markt – zum Beispiel indem die EU-Kommission durch EU-weite Vorgaben für die Berechnung von Kapitalkosten (WACC – Weighted Average Cost of Capital) dem TK-Sektor künstlich die Verzinsung des eingesetzten Kapitals wegreguliert. Oder durch eine gerade erst vorgeschlagene erneute Absenkung der Entgelte für Roaming-Vorleistungen, die sich Mobilfunkbetreiber untereinander in Rechnung stellen dürfen. Dies alles ohne Not, ohne Marktversagen und ohne, dass Verbraucher in irgendeiner Art und Weise davon profitieren. Stattdessen beeinträchtigt diese Art zwanghafter Preisregulierung das Investitionsklima in Europa, das aufgrund der Corona-Krise ohnehin angeschlagen ist.
Gleichzeitig haben europäische Wettbewerbsbehörden in der Vergangenheit Konsolidierung verhindert – und damit die Möglichkeit, Größenvorteile zu nutzen, die Kostensenkungen ermöglichen würden.
Sinkende Umsätze und Margen führen zwangsläufig zu einer niedrigen Kapitalverzinsung, die bei europäischen Telekommunikationsunternehmen im Durchschnitt acht Prozentpunkte unter der Kapitalverzinsung der US-Telekommunikationsunternehmen liegt – eine immense Differenz. In kapitalintensiven Branchen wie der Telekommunikation spielt die Kapitalverzinsung eine wichtige Rolle: Europäische Telekommunikationsunternehmen investieren im Durchschnitt beachtliche 18 Prozent ihrer Umsätze bzw. über 50 Prozent ihrer EBITDA-Marge – deutlich mehr als Unternehmen in anderen Branchen, aber auch mehr als ihre Konterparts in den USA. Weil aber Umsätze und EBITDA-Margen in Europa auf vergleichsweise niedrigem Niveau liegen, sind die Investitionen absolut betrachtet auf zu niedrigem Niveau. Das illustriert der Vergleich der pro-Kopf-Netzinvestitionen: diese lagen im Jahr 2019 in den USA bei 214 Euro, in Europa bei lediglich 95 Euro.
Investoren sehen aber – verständlicherweise – mit Sorge, dass die Kapitalverzinsung etlicher europäischer Telekommunikationsunternehmen kaum ausreicht, die Kapitalkosten zu decken. Damit ist es für die Unternehmen keine leichte Aufgabe, Investoren von der Sinnhaftigkeit milliardenschwerer Investitionen in moderne 5G- oder Glasfasernetze zu überzeugen.
Viele europäischen Telekommunikationsunternehmen leiden zudem unter einer hohen Schuldenlast – oft die Folge hoher Investitionen in neue Netze oder teurer Akquisitionen in der Vergangenheit. Hohe Schulden gepaart mit rückläufigen oder bestenfalls stagnierenden Umsätzen führen dazu, dass Ratingagenturen und Analysten den Verschuldungsgrad sorgfältig beobachten und auf Schuldenabbau drängen. Dies schränkt unternehmerische Handlungsspielräume ein: „Haushaltsdisziplin“ hat Vorrang vor Investitionen in neue Produkte, Dienste oder Netze.
Die Folge: schleppender Netzausbau in Europa
Vor fünf Jahren hatte Europa noch den Anspruch, beim 5G-Ausbau eine führende Rolle zu spielen. Heute zeichnet sich jedoch ab, dass Europas 5G-Ausbau im Vergleich zu den USA oder führenden asiatischen Ländern ähnlich schleppend verlaufen wird wie seinerzeit der 4G-Ausbau. In diesem Jahr wird in den führenden 5G-Nationen USA, China, Japan, Südkorea bis zu 22 Prozent des Mobilfunkverkehrs über 5G übertragen, in der Europäischen Union sind es lediglich 4 Prozent. Der Branchenverband GSMA prognostiziert, dass Europa auch im Jahr 2024 deutlich abgeschlagen hinter den führenden 5G-Nationen liegen wird. Auch hier ist die Deutsche Telekom mit schon heute fast 80 Prozent 5G Abdeckung in Deutschland und ähnlichen Werten in Österreich und den Niederlanden eine Ausnahme.
Und es hapert nicht nur am Netzausbau: Die Europäische Investitionsbank hat jüngst festgestellt, dass in Europa das gesamte 5G-Ökosystem deutlich zurückgefallen ist. In den USA entwickeln mittlerweile zahlreiche Start-ups und Tech-Unternehmen innovative Software und Hardware rund um 5G, unter anderem auch für Open RAN. Open RAN – Mobilfunkstationen ohne hochentwickelte proprietäre Chips und speziell dafür geschaffene Software der Ausrüster – gilt als Technologie der Wahl für zukünftige Mobilfunknetze.
Nicht nur im Mobilfunk, auch im Festnetz besteht Aufholbedarf. In weiten Teilen Europas müssen zwei Herkulesaufgaben gestemmt werden: zum einen der FTTH-Ausbau, zum anderen die Versorgung des ländlichen Raums mit schnellem Internet. Der Ausbau erfordert Investitionen in Milliardenhöhe, die vorrangig von privaten Unternehmen gestemmt werden müssen. Die Lasten sind dabei jedoch ungleich verteilt.
Internetunternehmen profitieren in der Krise
Die Nachfrage nach Online-Diensten ist in der Krise explodiert. Die großen Internetunternehmen haben mit Rekordgewinnen und massiven Kurssteigerungen profitiert. Allein Apple ist heute fünfmal soviel wert wie die europäischen Telekommunikationsunternehmen zusammengenommen. Newcomer Zoom, den vor der Krise kaum jemand kannte, ist heute mehr wert als Vodafone, Orange und Telefónica in Summe.
Doch die Internetunternehmen tragen nichts zu Ausbau, Stabilität und Sicherheit jener Netze bei, auf denen sie ihr florierendes Geschäft betreiben. Zehn Digitalkonzerne verursachen 80 Prozent des Internetverkehrs auf unserer Infrastruktur – Tendenz steigend. Es wäre nur fair, wenn auch Milliarden aus dem Valley für Glasfaser in Europa genutzt werden könnten.
Fazit
Der Ausbau der digitalen Infrastruktur ist ein Schwerpunkt der neuen Digitalpläne der Kommission. Wenn die Kommission das Ziel erreichen will, Europa bis 2030 in eine Spitzenposition zu bringen, muss Europas digitaler Teufelskreis aus sinkenden Umsätzen und Margen, Wertverfall und niedrigen Investitionen durchbrochen werden. Das heißt: bessere Rahmenbedingungen für Digital-Investitionen in Europa, ein Kartellrecht, das Größe zulässt und Kooperationen erleichtert sowie eine faire Beteiligung der Internetunternehmen am Netzausbau. Europas Telekommunikationsbranche muss das Vertrauen der Investoren zurückgewinnen – eine entscheidende Voraussetzung für mehr Investitionen in schnelle Netze.
Politik und Regulierung
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