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Claudia Nemat

Ein Beitrag von Claudia Nemat, Vorstand Technologie und Innovation, Deutsche Telekom.

„Noch nie seit dem zweiten Weltkrieg war Europa so wichtig. Und doch war Europa noch nie in so großer Gefahr. Der Brexit ist … ein Symbol für die Krise in Europa,“ schreibt Emmanuel Macron den Bürgerinnen und Bürger Europas. Ein weniger augenfälliges Symbol dieser Krise ist der schleichende Techxit!

Claudia Nemat, Vorstandsmitglied Deutsche Telekom AG, Technologie und Innovation

Claudia Nemat, Vorstandsmitglied Technologie & Innovation der Deutschen Telekom AG.

Ob Kernkraftwerke, Flughäfen oder Mobilfunknetze - Bau und Betrieb können heute komplett outgesourct werden. Europäische Adressen sind unter den globalen Generalunternehmen selten. Überhaupt hat das einstige Technologiezentrum Europa übermächtige Konkurrenz in Amerika und Asien bekommen. Zeit für einen Richtungswechsel. Nutzen wir die Debatten über Digitalisierung, Cybersecurity und Netzausrüster für einen gemeinsamen Vorstoß zu mehr „Made in Europe“! 

Eine unterschätzte EU-Aufgabe ist die Technologiepolitik. Technologie ist das neue Konfliktfeld der Versorgungsautonomie. Kohle, Stahl, Öl galten im 20. Jahrhundert als entscheidend für nationale Sicherheit und Selbstbestimmung. Nun müssen wir ähnlich den Zusammenhang von Digitalisierung und politischer Abhängigkeit im europäischen Rahmen diskutieren. In vielen Branchen kann kaum ein Anbieter seine Infrastruktur ohne asiatische oder amerikanische Komponenten aufbauen. 

Die Entwicklung von künstlicher Intelligenz verschärft die Debatte. KI wird in vielen Feldern über den Erfolg entscheiden. Aber KI ist mehr als Einsen und Nullen. KI trägt immer die Sicht des Programmierers in sich – zumeist ein Mann, und derzeit eher einer aus Asien oder Amerika. 

Wir dürfen keiner von Lagerdenken geleiteten Technik-Diskussion das Wort erteilen. Aber wir müssen die Diskussion um Industriespionage, Sicherheit von 5G-Bauteilen und kulturelle Dominanz bei KI ernst nehmen. Wir brauchen ein wenig mehr EU-Spitzentechnologie, mehr Technik-Kompetenz, hier und da digitale Versorgungshoheit, zumindest weniger Abhängigkeit bei digitaler Technologie. Und dies im Austausch mit Unternehmen weltweit. Unter Einbezug unserer europäischen Werte. Die Weltwirtschaft ist verflochten. Dabei haben es Partner auf Augenhöhe leichter.

Drei Thesen dazu

  1. Wir nutzen den gemeinsamen Markt zu wenig: Die Schwäche der digitalen Tech-Industrie in Europa liegt auch an wenig weitsichtiger Regulierungspolitik. Beispiel Mobilfunkanbieter: In China sind es drei für 1,3 Milliarden Menschen, in Amerika vier für 300 Millionen, in Europa 200 für 750 Millionen Menschen. Platz für „European Champions“? 
  2. Wir entwickeln keine Schlüsseltechnologien gemeinsam: 80 Prozent unserer Elektronikkomponenten kommen aus China. Firmen wie Apple, Nokia und Ericsson fertigen bzw. lassen dort fertigen. Bei Elektronikbauteilen kommt faktisch niemand mehr an China vorbei, bei KI nicht an den USA und wohl bald China. Airbus ist weiter das einzige bedeutende europäische Industrieprojekt.
  3. Wir haben noch keine gemeinsamen Konzepte für die Rohstoffe des 21. Jahrhunderts: Daten. Wie damit umzugehen ist, ist oft unklar. Ein Zeichen setzte die EU mit der Datenschutz-Grundverordnung. Aber wir verstehen kaum, was an Ressourcen über Atlantik wie Ural geht. Zudem entwickeln wir rund um Big Data, Machine Learning und Datenauswertung kein Modell, das mit den europäischen Werten im Einklang steht. Weder die totale Kommerzialisierung individueller Verhaltensdaten im Austausch gegen scheinbar „kostenlose“ digitale Services noch Chinas totale Bürger-Überwachung via Social Credit Score scheinen uns Europäern akzeptabel. 

Aber wie gestalten wir unseren Weg? Big Data und KI könnten den Schutz von Gesundheit und Umwelt sowie die Bildungschancen gewaltig verbessern. Wir brauchen mehr gemeinsame Technologie-Entwicklungen und eine kraftvolle Technologiepolitik in Europa. Und dies im Einklang mit unseren Werten. Ein Weg lang, steinig, aber möglich!

Den Techxit, den Ausstieg Europas aus der digitalen Technologie zu verhindern, ist ein sehr ehrgeiziges Ziel. Innovation zu liefern wird vor allem die Aufgabe weniger großer und vieler kleiner Unternehmen sein. EU-Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass sich in Europa Investitionen lohnen. Dass sie sicher sind. Dass der gemeinsame Markt angemessen zu nutzen ist. Staatliche Aufgabe ist es ebenfalls, unseren Werten und Normen Respekt zu verschaffen, auch gegenüber Unternehmen aus China oder den USA. Und Europa darf kein „seelenloser Markt“ sein. Unsere gemeinsame Aufgabe ist es, unsere Freiheit, unseren sozialen Zusammenhalt und unseren Fortschritt zu verteidigen. Fangen wir heute damit an!

Claudia Nemat

Claudia Nemat

Vorstandsmitglied Technologie und Innovation

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