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Timotheus Höttges

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Ein Beitrag von CEO Timotheus Höttges über das Ende der Pandemie und den Beginn eines Erneuerungsprozesses in Deutschland und Europa. Dieser Artikel wurde zuerst als Gastbeitrag auf dem Portal www.welt.de veröffentlicht.

Die Corona-Krise offenbart deutliche Schwächen und Versäumnisse in Deutschland und Europa. Noch muss die ganze Aufmerksamkeit darauf liegen, die Pandemie zu überwinden. Danach sollten wir uns nicht loben für das, was gut funktioniert hat. Sondern ändern, was offensichtlich schlecht läuft. Und uns so als Gesellschaft „impfen“ gegen Krisen der Zukunft.

Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom AG.

Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom AG.

Hollywood hat es gewusst. Der Film „Contagion“, 2011 erschienen, handelt von einer weltweiten Pandemie: Ausgehend von Asien verbreitet sich ein tödliches Virus über die ganze Welt. Es geht um Wissenschaftler, die zu Helden werden. Um R-Werte. Um die Verteilung von Impfstoff. Um Menschen in Quarantäne. Um Tod und Leid. Sogar um Verschwörungsmystiker, die in einer ganz eigenen Realität leben – und sterben. Alles noch dramatischer, als wir es aktuell erleben. Aber trotzdem frappierend nah daran. Und mit Happy End. Hollywood wusste es also. Und wir alle wussten es auch. Es ging nie um das „Ob“. Sondern nur um das „Wann“. 

Und doch waren wir in Deutschland und Europa an vielen Stellen erschreckend unvorbereitet: im Bildungswesen, das längst nicht digital ist; in vielen Verwaltungen, die es auch nicht sind; in unseren Lieferketten und Prozessen; in der Produktion, die zu großen Teilen in Asien liegt. Und zum Teil auch in unseren Geschäftsmodellen, die weniger digital sind als anderswo. Diese Krise kennt keine Gewinner. Sie ist eine Tragödie. Aber der Aktienmarkt kennt sie durchaus. 2020: Amazon plus 68 Prozent, Docusign plus 226 Prozent, Netflix plus 54 Prozent ...

Nicht in den "Schlaf der Zufriedenen" fallen

Auch wenn die Krise noch nicht überwunden ist: Wir sehen Licht am Ende des Tunnels. Aber was folgt dann? Werden wir uns auf die Schultern klopfen für das, was wir geschultert haben? Ja, wir haben die erste Welle der Pandemie im Frühjahr 2020 halbwegs glimpflich überstanden. Weil die Menschen solidarisch miteinander waren. Weil sie angepackt haben. Weil Homeoffice dank stabiler Kommunikationsnetze möglich war. Weil der Staat mit umfangreichen Hilfen wie etwa dem Kurzarbeitergeld vieles abgefedert hat. Und auch dank herausragender deutscher Forschung, die gleichzeitig eine ermutigende Geschichte über Zuwanderung erzählt.

Aber nach der Krise sollten wir nicht in einen „Schlaf der Zufriedenen“ verfallen, wie dies teilweise nach der ersten Welle geschehen ist. Was ist denn seither an den Schulen substanziell verbessert worden?

Mein Eindruck ist: Wir haben es uns bequem gemacht in unseren Systemen. In einem doppelten Föderalismus von Europäischer Union und 16 Bundesländern. In unseren Institutionen. In unseren Abläufen. Eingerichtet zum Teil aus hehren Zielen – siehe EU. Eingerichtet zum Teil, weil das meiste – oft leidlich – funktioniert hat. Jedenfalls so gut, dass es einfacher war, einen Teil der Realität auszublenden. Statt die Kämpfe auszufechten und die Widerstände zu überwinden, auf die Veränderungen zwangsläufig stoßen.

Erneuerungsprozess nach Corona

Die Entwicklung des Corona-Impfstoffes eröffnet uns große Möglichkeiten. Sie kann Ende bedeuten. Ende der Pandemie. Sie muss aber auch Anfang bedeuten. Anfang für einen Erneuerungsprozess auf vielen Ebenen. Sowohl in Deutschland als auch in Europa. 

Das beginnt mit einer ehrlichen Analyse: Was lief gut? Was lief schlecht? Was ändern wir deshalb? Das gilt auch für die Telekom; wir beteiligen uns gerne. 

Digitale Bildung

Zum Beispiel bei der Bildung. Das ifo Institut hat ermittelt, dass während des ersten Lockdowns 45 Prozent aller Schüler*innen keinen individuellen Kontakt zu ihren Lehrer*innen hatten. 57 Prozent hatten seltener als einmal pro Woche Online-Unterricht. Es fehlt an Hardware, Software und ausreichenden Bildungsservern. Gewiss, Lehrerinnen und Lehrer müssen fit sein für digitalen Unterricht. Didaktisch. Aber sie müssen auch die eingesetzte Technik beherrschen.

Die Telekom könnte 1.000 Mitarbeiter*innen sofort abstellen, um Zukunftskonzepte zu entwickeln, technische Unterstützung zu leisten und vieles mehr. Aber es kann doch nicht sein, dass solche Angebote immer nur dann abgerufen werden, wenn sie kostenlos sind. 

Ausbau der Infrastruktur

Das zweite Thema ist natürlich der Ausbau der Infrastruktur. Nicht nur der Breitbandnetze, sondern auch der Schienennetze, Stromnetze für die Energiewende, Ladenetze für die eMobilität usw. Die Telekom investiert pro Jahr über fünf Milliarden Euro in Deutschland. Mehr als alle anderen Wettbewerber. Und gleichzeitig kooperieren wir mit Telefónica und Vodafone, damit wir noch mehr Funklöcher schließen.

Mein Ziel ist außerdem: Bis 2030 hat jeder Haushalt einen Glasfaseranschluss. Ein Teil kommt von uns. Ein Teil von unseren Wettbewerbern. Das kostet viel Geld. Wie stemmen wir das? Zehn Digitalkonzerne verursachen 80 Prozent des Internetverkehrs auf unserer Infrastruktur, auf der sie ihre Gewinne einfahren. An den Kosten jedoch beteiligen sie sich nicht. Es wäre aber gut, wenn auch Milliarden aus dem Valley für Glasfaser in Deutschland genutzt werden könnten.

Europäischer Binnenmarkt

Drittens müssen wir den europäischen Binnenmarkt weiterentwickeln. Denn wir können Größenvorteile bislang nicht konsequent nutzen. Das Kartellrecht sollte sich nicht an 27 Mitgliedsstaaten orientieren, sondern an einem Europa. Das würde helfen, Anbieter zu schaffen, die im Wettbewerb mit den Giganten aus Amerika und China bestehen können. Hierzu gehören Fusionen im Bankensektor, der verarbeitenden Industrie und auch der Telekommunikation. Ohne dieselben Größenvorteile werden wir niemals dieselbe Souveränität erreichen. 

Neue Strukturen

Viertens wird all dies aus meiner Sicht nur dann möglich sein, wenn wir unsere Entscheidungsstrukturen und Verwaltungen reformieren. Strukturen sind keine Naturgesetze. Man kann sie ändern. Hier hat Politik eine eigene Aufgabe, Verantwortung und den uneingeschränkten Einfluss quasi „auf dem eigenen Hof“. Ziel sollte sein, Bürokratie abzubauen und nicht bei anderen mit neuen Hindernissen aufzubauen.

Das können wir anpacken

Wir haben keine Erkenntniskrise. Sondern eine Umsetzungskrise. In unseren vielschichtigen Entscheidungsstrukturen hat der Einzelne sicherlich gute Absichten. Aber der erzielte kleinste gemeinsame Nenner ist vielfach weder vermittelbar noch problemlösend. Und über Rechtsstaatlichkeit als Kern der europäischen Idee sollten wir überhaupt nicht mehr diskutieren müssen. 

All das setzt eine Art Kulturwandel in unserer Gesellschaft voraus. Die Frage darf nicht lauten „Was habe ich zu verlieren?“. Sondern sie muss lauten: „Was können wir alle gewinnen?“ Und welchen konkreten Beitrag leiste ich dazu? 

Einige Punkte können wir direkt angehen:

  1. Ein neues Kartellrecht, das Größe zulässt und europäische Interessen schützt. Das europäische Kooperationen erleichtern und offene und faire Märkte sicherstellt.
  2. Konsequenter Ausbau der Infrastruktur und passende Rahmenbedingungen für die, die investieren. Am besten mit offenen Standards wie dem so genannten O-Ran in meiner Industrie.
  3. Transformation der europäischen Wirtschaft. Inklusive europäischer Cloud, die Nachfrage braucht. Das bedeutet: Vorrang bei öffentlichen Ausschreibungen.
  4. Eine Verwaltungsreform auf allen Ebenen, die für höhere Effizienz sorgt und den Staat als Nachfrager nach digitalen Anwendungen als Innovationstreiber positioniert. Und bitte vergesst mir die Schulen nicht! 

Vielleicht ist es klug, wenn wir nicht nur die Pandemie hinter uns lassen. Sondern auch alte Feindschaften, manche Überzeugungen und überkommene Strukturen. Bitte kein Schulterklopfen. Sondern optimistisch nach vorne blicken und anpacken. Das sollte für jeden von uns „Eine Frage der Ehre“ sein. Nicht so wie in Hollywood. Aber gerne mit Happy End.

Timotheus Höttges, Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom AG.

Den Blick nach vorn: Mit dem Digitalturbo aus der Krise

Ein Beitrag von Timotheus Höttges,Vorstandsvorsitzender Deutsche Telekom AG.

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