Bedeutendste Kennzahl wird neu geregelt
Die Anforderungen der internationalen Rechnungslegung beschäftigen den Finanzbereich der Telekom regelmäßig. Das derzeit wohl wichtigste Thema sind die neuen IFRS-Vorschriften für die Bilanzierung von Umsatzerlösen. Kein Wunder, denn Telko-Unternehmen sind mit am stärksten von den neuen Vorgaben betroffen.
Helmut Becker, Leiter General Accounting, Deutsche Telekom Services Europe, und Michael Brücks, Leiter Principles, Policies & Research, Deutsche Telekom, erläutern im Interview, welche Auswirkungen die neuen Regeln auf die Telekom haben.
Herr Brücks, weshalb ist ein neuer Bilanzierungsstandard notwendig?
Michael Brücks: Derzeit gibt es eine Vielzahl von Vorgaben und Interpretationen, wie Umsätze international zu bilanzieren sind. Das hat dazu geführt, dass es für die Unternehmen einen sehr großen Entscheidungsspielraum gibt, wann und in welcher Höhe Umsatz zu erfassen ist. Analysten und Investoren haben es dadurch schwer die wirtschaftliche Lage eines Unternehmens verlässlich zu beurteilen. Die bisherigen Vorschriften werden nun in einem neuen Rechnungslegungsstandard IFRS 15 zusammengeführt und ergänzt. Damit wird die Vergleichbarkeit der Umsatzzahlen zwischen verschiedenen Unternehmen und Branchen erhöht. Der neue Standard tritt ab 1. Januar 2018 in Kraft.
Warum sind Telekommunikationsunternehmen mit am stärksten von den neuen Regeln betroffen?
Michael Brücks: Aus zwei Gründen. Erstens betreiben diese Unternehmen ein Massengeschäft mit vielen Millionen individualisierter Verträge, die wiederum ein Bündel aus verschiedenen Telekommunikationsleistungen beinhalten, sogenannte Mehrkomponentengeschäfte. Typisch hierfür ist zum Beispiel die Kombination aus Mobiltelefon und Servicevertrag. Zweitens wird das Mobilfunkgerät oftmals mehr oder weniger stark subventioniert - das ist ein weiteres Merkmal des Geschäftsmodells.
Was ändert sich für die Telekom ab 1.1.2018?
Michael Brücks: Die größte Herausforderung besteht darin, den Gesamtumsatz künftig nach dem Verhältnis der jeweiligen Einzelveräußerungspreise auf die Bestandteile des Mobilfunkvertrags (Handy und monatliche Servicegebühr) aufzuteilen. Der Einzelveräußerungspreis ist der Preis zu welchem das Unternehmen die Ware oder Dienstleistung separat verkaufen würde. Obwohl das Mobilfunkgerät im Rahmen eines Vertrags subventioniert ist, ist dennoch ein nicht unbeträchtlicher Teil des Gesamtumsatzes dem Gerät zuzuordnen. Ein Zahlenbeispiel verdeutlicht das (siehe unten).
Wenn unsere Kunden zudem in laufenden Verträgen rabattierte Leistungen hinzubuchen oder kündigen, muss das Verhältnis der einzelnen Leistungen zueinander jedes Mal neu berechnet und bilanziert werden. Je vielfältiger die Vertragsbeziehungen sind, desto komplexer ist es, diese Umsätze in der Rechnungslegung darzustellen. Außerdem fallen Umsatzerfassung und Rechnungsstellung zeitlich auseinander, so dass der Umsatz künftig nicht mehr aus den bestehenden IT-Systemen abgeleitet werden kann.
Herr Becker, können Sie bereits abschätzen, wie sich IFRS 15 auf die Zahlen auswirkt?
Helmut Becker: Der Standard bietet uns ein Wahlrecht für eine vereinfachte Erstanwendung. Dieses Wahlrecht nehmen wir auch in Anspruch. Das bedeutet, dass die zum 1. Januar 2018 noch nicht vollständig erfüllten Kundenverträge so bilanziert werden, als wären sie von Beginn an entsprechend IFRS 15 angesetzt worden. Dadurch erhöht sich unsere Bilanzsumme. Weiterhin erwarten wir für die Eröffnungsbilanz 2018 einen positiven Einmaleffekt im Eigenkapital (Gewinnrücklagen). Dieser Effekt entsteht, weil aufgrund der Umstellung Umsätze für Endgeräte zeitlich vorgezogen und Kundengewinnungskosten aktiviert werden. Beide Effekte werden in den folgenden Jahren über die Restlaufzeit der Verträge bzw. die durchschnittliche Kundenbindungsdauer gegen das Konzernergebnis aufgelöst. Gegenläufig gibt es ab 2018 aber auch positive Effekte aus neu abgeschlossenen Verträgen und weiteren aktivierten Kundengewinnungskosten. Darüber hinaus verringern sich künftig die Mobilfunk-Serviceumsätze, während die Hardwareumsätze steigen.
Welchen Einfluss hat IFRS 15 auf andere Bereiche abseits des Rechnungswesens?
Helmut Becker: Der neue Standard strahlt mit den veränderten Umsatzzahlen natürlich auf unsere Kapitalmarkt- und Medienkommunikation aus. Mit Bekanntgabe der Geschäftszahlen für das erste Halbjahr 2017 haben wir entsprechend der aktuellen Einschätzung des Managements erstmals quantitative Aussagen veröffentlicht. Daneben wirkt der neue Standard auch auf das Controlling und die Unternehmenssteuerung. Aber auch auf Incentivierungsmodelle könnten die neuen Regeln Einfluss haben.
Wo stehen Sie derzeit bei der Einführung der neuen Vorschriften?
Helmut Becker: Im europäischen Raum haben wir die neuen Vorgaben mit den Kollegen der OTE/Cosmote und der Telekom IT eingeführt. Insgesamt waren 12 internationale Konzerngesellschaften beteiligt, die mehr als zwei Jahre lang hervorragend zusammengearbeitet haben. Wir haben gemeinsam alle notwendigen Prozesse und IT-Systeme angepasst. Die Voraussetzungen sind also geschaffen, damit die neuen Anforderungen erfolgreich umgesetzt werden können. In den nächsten Monaten konzentrieren wir uns darauf, letzte Details anzupassen.
Zahlenbeispiel IFRS 15
Die Telekom verkauft einen Vertrag, der zwei Leistungen umfasst: ein Mobiltelefon und eine monatliche Servicegebühr. Insgesamt zahlt der Kunde 70 Euro im Monat (1.680 Euro über 24 Monate) für den Service (Tarif MagentaMobil...) und 100 Euro für das Telefon. In Summe also 1.780 Euro.
Bislang wird im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses für das Handy ein Umsatz von 100 Euro erfasst. Zudem hat das Unternehmen monatlich einen Serviceumsatz von 70 Euro ausgewiesen.
Künftig sind die Umsatzerlöse entsprechend der relativen Einzelveräußerungspreise zu ermitteln. Würde der Kunde die Leistungen separat kaufen, kostet das Mobiltelefon annahmegemäß 720 Euro und der monatliche Service 45 Euro; in Summe wären über die Mindestvertragslaufzeit 1.800 Euro zu zahlen. 40% davon entfallen auf das Endgerät, 60% auf den Service. Nach diesem Verhältnis ist nach IFRS 15 der tatsächliche Gesamtumsatz von 1.780 Euro aufzuteilen. Damit entfallen auf das Mobilfunkgerät 712 Euro, die sofort bei Abschluss des Vertrags als Umsatz zu erfassen sind. Bisher waren dies 100 Euro. Die verbleibenden 1.068 Euro werden über einen Zeitraum von 24 Monaten mit 44,50 Euro pro Monat (statt 70 Euro) als Serviceumsatz erfasst.