Künstliche Intelligenz soll Beethovens zehnte Sinfonie vollenden
Die Vollendung der Unvollendeten oder wie kreativ kann Künstliche Intelligenz sein? Wie funktioniert so etwas? Ein Erklärstück.
Das Projekt der Vollendung der unvollendeten 10. Sinfonie von Beethoven adressiert eine der Kernfragen rund um Künstliche Intelligenz (KI): Können Algorithmen kreativ sein? Oder, anders formuliert, was unterscheidet uns Menschen von den Maschinen?
Können Technologien, die uns beispielsweise durch Städte navigieren, uns sagen, welchen Bus oder Zug wir am besten nehmen oder im Internet Kauf-Empfehlungen geben, mehr? Können sie Romane schreiben, Bilder malen oder auch komponieren? Können sie, kurz gesagt, kreativ tätig sein? Und wenn ja, was bedeutet das für unser Verständnis von Kunst?
Es gibt bereits einige Beispiele kreativer KI. Das wohl bekannteste ist das „Porträt von Edmond Belamy“. Ein Gemälde, das Christie's im Jahr 2018 für 432 500 Dollar versteigerte. Es gibt auch KIs, die Drehbücher schreiben, auch ein Beatles Song wurde bereits komponiert und auch Sinfonien von Schubert oder Mahler vervollständigt.
Aber an Beethovens 10. Sinfonie hat sich noch niemand versucht. Aus Anlass des 250. Geburtstags Ludwig van Beethovens im Jahr 2020 wagt die Telekom zusammen mit internationalen Musik- und KI-Experten sowie Wissenschaftlern des Beethoven-Haus‘ Bonn das Experiment. Nach dem riesigen Erfolg der 9. Sinfonie arbeitete Beethoven gegen Ende seines Lebens an einer weiteren Sinfonie. Zum Zeitpunkt seines Todes waren jedoch nur einige Skizzen fertig, aber kein Teil der Komposition war zu Ende geführt. Mit Methoden der künstlichen Intelligenz soll nun aus den bestehenden musikalischen Skizzen eine mögliche Version der 10. Sinfonie entstehen.
Der Entstehungsprozess
Wichtige Grundlage des Projekts sind Seriosität und Fachkenntnis. Um diese sicherzustellen, braucht es ein Team aus Musikwissenschaftlern und KI-Experten. Unter der Leitung von Dr. Matthias Röder, The Mindshift und Karajan Institut, haben diese Experten mitgewirkt:
- Prof. Robert Levin, Musikwissenschaftler an der Harvard University
- Prof. Dr. Ahmed Elgammal, Artrendex Inc., KI-Experte an der Rutgers University
- Professor Mark Gotham, T.U. Dortmund
- Walter Werzowa, Komponist
- Prof. Dr. Christine Siegert, Leiterin Forschungsabteilung des Beethoven-Hauses
„Wir wollten besser verstehen, was der Stand der Technik bei der Generierung von Musik ist. Und wir haben versucht, die Grenzen auszutesten. Letztendlich haben wir einige Module verwendet, die von der natürlichen Sprachverarbeitung (Natural Language Processing) inspiriert sind. Die natürlich für die Musikgenerierung angepasst wurden, und die wir versucht haben, weiter voranzutreiben. Wir haben versucht, immer längere Sequenzen zu erstellen und die Struktur von Musik auf einer neuen Ebene zu verstehen. So weit, dass wir wirklich sinnhafte Musik erzeugen können”, beschreibt Prof. Dr. Ahmed Elgammal das Vorgehen.
Dafür mussten zunächst die vorliegenden Daten von Beethoven – Sinfonien, Noten-Skizzen und Partituren – analysiert und maschinenlesbar aufbereitet werden. Dann wurde die passende Machine Learning Methode ausgewählt und dessen Algorithmen auf die Aufgabe angepasst. Gearbeitet wurde mit Algorithmen der Sprachverarbeitung. Denn Musik wie Sprache besteht aus kleinen Einheiten - Buchstaben oder eben Noten - die zusammengesetzt einen Sinn ergeben. Dieses Verständnis des größeren Kontexts war entscheidend.
Die „Beethoven-KI“
So entstand ein System, das den Stil Beethovens ‚versteht‘. Diese „Beethoven-KI“ wurde speziell für die vorliegende Aufgabe von Prof. Dr. Ahmed Elgammal und seiner Firma Artrendex Inc. sowie Dr. Mark Gotham weiterentwickelt, damit es die bestehenden Skizzen im Stil Beethovens zu sinnvollen musikalischen Sätzen erweitern kann. Begonnen wurde mit kleinsten Einheiten, die die KI um wenige Noten fortschreiben sollte. Die Vorschläge der KI wurden von den Musikwissenschaftlern begutachtet, die besten ausgewählt und wieder in das System zurückgespielt. Mit der Aufgabe, wieder ein paar Noten hinzuzufügen. So entsteht ein immer längeres Werk.
„Was KI uns gestattet, ist die Möglichkeit, den weiteren Verlauf eines Satzes in 20, in 100 verschiedenen Fassungen anzubieten. Und das ist unendlich faszinierend, denn wenn es algorithmisch sehr gut gemacht wird, dann ist jeder Versuch plausibel“, beschreibt Prof. Levin die Vorteile der Zusammenarbeit mit der KI. Es ist Aufgabe des Menschen, aus den Vorschlägen den besten auszuwählen.
Viele Ideen, die Beethoven aufgeschrieben hat, sind sehr abstrakt oder für ein Musiksystem nicht verständlich. So hat das Expertenteam in den Skizzen Ideen für einen Choral gefunden oder aber beschreibende Worte für die Form des Werkes. Hieraus mussten Vorgaben für die KI definiert werden.
„Man muss sich das so vorstellen, dass Beethoven in dem Moment, in dem er neue Ideen hatte, sich Notizen machte. Und diese Notizen sind manchmal in geschriebenen Worten, manchmal sind es Musiknoten. Die sind mal fragmentarisch, mal ausführlicher. Und wir müssen ausgehend von diesem Material Annahmen treffen. Wie hätte er bestimmte Dinge weiterentwickelt? Das betrifft vor allem die große Form. Die Abfolge von Teilen in der Musik. Und da sind wir darauf angewiesen, dass wir selbst Entscheidungen treffen, die auf den Materialien von Beethoven basieren. Und dann füllt die KI letztendlich auf der Basis der musikalischen Ideen diese Form auf“, erklärt Dr. Röder.
Das Expertenteam legte außerdem die generelle Struktur für die fertige Komposition fest. Nachdem die KI die Skizzen Beethovens dann weiterführt, werden die fertigen Teile in diese Struktur eingearbeitet. Das Ergebnis ist erstaunlich: Die KI greift nicht nur die Ideen Beethovens auf. Sie bringt hie und da neue Ideen ein, die überraschen und manchmal ein Lächeln entlocken.
Die KI wirft ihre Komposition als monoton anmutende Tonfolge aus. Ähnlich wie auch Computerstimmen maschinell und künstlich klingen. Erst, wenn ein Mensch diese Noten auf einem Instrument spielt, erwachen sie zum Leben und werden mit Tempowechseln und Gefühl interpretiert.
Das ist die Aufgabe von Walter Werzowa. Der Komponist legt Hand an, um das Ergebnis der KI von einem Orchester spielbar zu machen und interpretiert es für die unterschiedlichen Instrumente.
Mensch und Maschine arbeiten zusammen
Das Projekt ‚Beethoven KI‘ zeigt: Nur wenn Mensch und Maschine planvoll zusammenarbeiten, kann das große Potenzial der kombinierten menschlichen und maschinellen Kreativität erreicht werden! Ob das als Kunst zu werten ist?
Der Musikprofessor Levin sieht es so: „Kunst, künstlich wird dem Natürlichen entgegengesetzt. Was künstlich ist, kommt nicht aus der Natur. In diesem Sinne ist die Kunst dort, wo auch die KI ist. Beide Denkprozesse möchten ein Stück Realität schildern. Man kann sagen der Computer macht es nach Algorithmen. Ja. Aber der Mensch macht es auch aufgrund von Erfahrungen oder Ausbildung. Sie sind nicht unbedingt so weit voneinander entfernt. Das Resultat ist zwangsläufig von der Qualität der Eingabe abhängig. Aber Beethoven ist auch von seiner Liebe zu Mozart, seinen Studien von Albrechtsberger oder Haydn abhängig. Es ist das Romantische in uns, das verweigern möchte, dass künstliche Intelligenz einen Wert hat. Ich möchte sagen, langsam. Nicht so schnell.“