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Miguel Vidal

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Für mehr Fairness und Nachhaltigkeit im Internet

Rasant ansteigende Datenverkehre, Milliardeninvestitionen für den Ausbau neuer Netze, Nachhaltigkeit und Klimaschutz: allesamt große Herausforderungen für die Digitalbranche. Im Netzgeschichten TALK wollten wir daher von unseren Gästen wissen: Wie kann es in Europa gelingen, den Bürgern ein erstklassiges Netzerlebnis zu bieten, die Ökobilanz zu verbessern und gleichzeitig die Investitionslast zwischen Ausbauwilligen und reinen Nutznießern der Netzinfrastruktur besser auszubalancieren?

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 Keine Frage, Streaming ist populärer denn je – und sorgt dafür, dass Datenströme immer weiter anschwellen. Dahinter steht eine Netzinfrastruktur, die Jahr für Jahr ausgebaut wird. Europaparlamentarierin Angelika Niebler betonte gleich zu Beginn des Netzgeschichten TALK die Bedeutung der digitalen Infrastruktur, gerade auch in Pandemiezeiten. Und es sei auch jedem klar, dass flächendeckende Glasfaser- und 5G-Netze viel Geld kosten. Deshalb, so Niebler, sei es umso wichtiger zu hinterfragen, wer den Netzausbau sicherstellt und bezahlt. Eine faire Kostenaufteilung spiele überall eine wichtige Rolle: beispielsweise würden Airlines ja auch für Start- und Landerechte an Flughäfen bezahlen müssen.

Freifahrtschein im Netz?

Im Netz entfällt heute bis zu 80 Prozent des Datenverkehrs auf nur fünf große Internetunternehmen. Roslyn Layton von der Aalborg University Kopenhagen erinnerte an die Historie des Internets: das Internet sei seinerzeit nicht konzipiert worden, um Videos und Filme online zu übertragen. Heute seien aber Entertainment und Video Streaming die mit Abstand populärsten Anwendungen, die auch den Löwenanteil der Kapazitäten in den Netzen beanspruchten. Zwar investierten große Internetunternehmen in ihre Rechenzentren und Content Delivery Networks (CDNs), trügen aber darüber hinaus nichts zum Netzausbau bei. Kurioserweise, so Layton, sei dies in der öffentlichen Wahrnehmung fast schon zu einer Selbstverständlichkeit geworden – was es aber nicht sei. Layton erinnerte daran, dass Netflix in den Zeiten, als das Unternehmen noch DVDs per Post verschickte, Porto für den Versand bezahlte, die Zahlungspflicht an US Postal Service aber nie in Frage gestellt hat. Heute hingegen zahle Netflix kein „Porto“ – die Kosten für die Übertragung der Filme würden auf die Telekommunikationsunternehmen abgewälzt. 

Big Streamer: die Spritfresser des Internets?

Ungebremst wachsende Datenmengen verursachen Umweltkosten. Simon Hinterholzer vom Borderstep Institut schätzt, dass Rechenzentren (inklusive Herstellung) jährlich 200 bis 250 Megatonnen CO2-Äquivalente emittieren. Der Stromverbrauch der riesigen Rechenzentren der Hyperscaler stellt bereits heute vielerorts eine enorme Herausforderung für die Stromversorgung dar. Niebler wies darauf hin, dass die Europäische Union mit dem „Fit for 55“ Paket und dem Europäischen Emissionshandel (EU-ETS) den klima- und energiepolitischen Rahmen gesetzt hat. Angesichts der dynamischen Entwicklung könne die Digitalbranche künftig in Brüssel stärker in den Fokus rücken als dies bislang der Fall sei.

Neues Regelwerk für neue Marktrealitäten 

Angesichts der bestehenden Ungleichgewichte stellte Moderator Brent Goff die berechtigte Frage, ob im digitalen Ökosystem der Markt versagt. Dazu Laytons These: Es muss ein funktionierender Markt geschaffen werden. Telekommunikationsunternehmen hatten nie eine Chance, mit Inhalteanbietern angemessene Entgelte für den Datentransport auszuhandeln. Dies sei auch darauf zurückzuführen, dass Telekommunikationsunternehmen strenge Regeln zur gleichberechtigten Übertragung von Daten und zum diskriminierungsfreien Netzzugang einhalten müssten. Diese Regeln, so Layton, seien allerdings überholt: sie stammten aus einer Zeit, in der noch nicht absehbar war, dass das Netz von einer Handvoll großer Internetunternehmen mit ihren Videoinhalten dominiert werden würde. Deshalb sei es höchste Zeit, das Regelwerk zu modernisieren und den neuen Marktrealitäten anzupassen. Konkret würde dies bedeuten, dass zuständige Behörden angemessene Transit-Preise für die Verkehrsabwicklung festsetzen oder als „Schiedsrichter“ sicherstellen, dass Breitband- und Inhalteanbieter auf Augenhöhe miteinander verhandeln. Auf diese Weise könne sichergestellt werden, dass große Internetunternehmen einen fairen Anteil zum Netzausbau leisten. Kleinere Inhalteanbieter mit vergleichsweise geringem Datenverkehr wären hiervon ausgenommen. Angemessene Transit-Preise für die großen Verkehrsverursacher würden auch Anreize setzen, Verkehrsströme zu optimieren und damit die Umweltbelastung zu reduzieren. 

Brent Goff, Angelika Niebler, Simon Hinterholzer und Roslyn Layton (v.l.n.r. im Uhrzeigersinn)

Angeregte Diskussion, heitere Stimmung: Brent Goff, Angelika Niebler, Simon Hinterholzer und Roslyn Layton (v.l.n.r. im Uhrzeigersinn)

Angelika Niebler pflichtete Roslyn Layton bei („Roslyn really has a point”). Grundsätzlich seien Marktlösungen vorzuziehen, aber wenn der Markt versagt, sei es Aufgabe des Gesetzgebers einzugreifen. So haben die europäischen Institutionen auch den Digital Markets Act und den Digital Services Act auf den Weg gebracht, um fairen Wettbewerb auf sogenannten Gatekeeper-Plattformen sicherzustellen und um für mehr Sicherheit und Verantwortung im Netz zu sorgen. Niebler betonte, dass das Europäische Parlament stets im Sinne der Bürger Europas offen für neue Themen sei und bei komplexen Themen Expertise von außen einhole. Am Rande notiert: die Arbeitsweise des Europäischen Parlaments ist absolut transparent, Plenar- und Ausschusssitzungen werden öffentlich übertragen.  

Zu Nachhaltigkeit und Klimaschutz wollte Moderator Brent Goff wissen, ob das Thema aus Sicht der Politik auch im Digitalbereich eine Rolle spiele. Simon Hinterholzers Antwort: eindeutig ja. Green IT habe in den letzten zwei bis drei Jahren in der politischen Debatte klar an Bedeutung gewonnen. Als Beispiel nannte er die Vorgabe der neuen Ampel-Koalition, dass neue Rechenzentren von 2027 an klimaneutral betrieben werden müssen. 

Ausblick 2022

Aus Sicht der Panelteilnehmer ist es eine Lehre aus der Pandemie, dass eine leistungsfähige, flächendeckende Breitbandversorgung von zentraler Bedeutung ist. Deshalb ist der Netzausbau wichtiger denn je. Gleichzeitig, so Layton, biete sich die Chance, für mehr Fairness und Balance in der digitalen Wirtschaft zu sorgen und große Internetunternehmen an den Kosten der Netze, die sie ausgiebig nutzen, zu beteiligen. Auch für Niebler ist „kommerzielle Fairness“ ein wichtiges Thema, das künftig in den Mittelpunkt rücken müsse. 

Mehr zum ThemaManagement zur Sache: Wie nachhaltig ist das unbegrenzte Datenwachstum im Netz?
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Portrait Wolfgang Kopf.

Wie nachhaltig ist das unbegrenzte Datenwachstum im Netz?

Ein Beitrag von Wolfgang Kopf, Leiter Zentralbereich Politik und Regulierung, über Nachhaltigkeit unbegrenzten Datenwachstums im Netz.

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